Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
reich galt.
Gefolgt von ihrer treuen Schar, ging Angélique auf ihn zu. Sie wagte nicht, ihm zu gestehen, dass sie ursprünglich vorgehabt hatten, sich nach Amerika einzuschiffen. Außerdem hatte Bruder Anselme bestimmt noch nie von Amerika gehört. So erzählte sie ihm lediglich, dass sie aus Monteloup kämen und im Wald Erdbeeren und Himbeeren gesammelt und sich dabei verlaufen hätten.
»Meine armen Kleinen«, entgegnete der rechtschaffene Bruder Anselme, »das kommt davon, wenn man sich der Völlerei hingibt. Eure Mütter werden weinen und nach euch suchen, und ich vermute stark, dass euch der Hosenboden brennen wird, wenn ihr nach Hause kommt. Aber vorerst bleibt euch nichts anderes übrig, als euch dorthin zu setzen. Ich hole euch eine Schale Milch und etwas Graubrot. Ihr könnt in der Scheune schlafen, und morgen spanne ich den Esel vor den Karren und bringe euch nach Hause; ich wollte sowieso in diese Gegend, um Almosen zu sammeln.«
Der Plan klang vernünftig.
Angélique und ihre Gefährten waren den ganzen Tag über gelaufen. Sie wusste, dass man selbst mit einem Karren Monteloup
erst spät in der Nacht erreichen würde, denn es gab keine Straße quer durch den Wald, nur die schmalen Waldwege, denen die Kinder gefolgt waren. Man musste den sehr viel längeren Umweg über die Dörfer Naillé und Varrout nehmen, von denen sie hier weit entfernt waren.
Der Wald ist wie das Meer, dachte Angélique, man müsste sich darin nach einem Kompass richten, wie Josselin es immer erklärt hat, sonst läuft man blind herum. Mutlosigkeit erfasste sie. Sie konnte sich kaum vorstellen, ein zweites Mal auf die Reise zu gehen, dann aber mit komplizierten Geräten, von denen sie nicht einmal wusste, wo sie sich diese beschaffen sollte.
Und waren ihre »Männer« nicht kurz davor, sie im Stich zu lassen? Das Mädchen schwieg, während die anderen in der lauen Wärme, mit der die Dämmerung die weiten Höfe erfüllte, am Fuß der Mauer hockten und aßen.
Die Glocke läutete immer noch. Schwalben stießen am rosig gefärbten Himmel schrille Rufe aus, und auf einem Haufen aus Stroh und Mist gackerten Hühner.
Seine Kapuze über den Kopf ziehend, eilte Bruder Anselme an ihnen vorbei.
»Ich gehe zur Komplet. Seid ja brav, sonst koche ich euch nachher in meinem Kessel.«
Braune und weiße Gestalten huschten durch die Bögen eines Kreuzgangs. Der alte Bruder neben der Tür schlief immer noch. Bestimmt war er vom Chorgebet befreit...
Angélique wollte nachdenken und stand auf, um ein wenig herumzuspazieren.
In einem der Höfe sah sie eine wunderschöne wappengeschmückte Karosse, die auf ihren Deichselstangen ruhte. Im Stall fraßen reinrassige Pferde ihren Hafer. Ohne dass sie wusste, warum, weckte dieses Detail ihre Neugier. Mit kleinen Schritten ging sie weiter durch die Stille, bezaubert vom
Charme dieses weitläufigen Bauwerks inmitten der Bäume. Wenn die Nacht sich auf den Wald herabsenkte und die Wölfe draußen herumstrichen, würde die Abtei im Schutz ihrer dicken Mauern und schweren Tore ihr abgeschiedenes, geheimes Leben fortführen, von dem Angélique sich nicht das Geringste vorstellen konnte. In der Ferne stiegen leise Kirchengesänge auf. Von der Musik geleitet, lief sie die ersten Stufen einer steinernen Treppe hinauf. Noch nie hatte sie einen so lieblichen Klang gehört, denn die Kirchenlieder, die der Pfarrer und der Dorfschullehrer in der Kirche von Monteloup grölten, erinnerten nicht gerade an die himmlischen Heerscharen.
Plötzlich hörte sie das Rascheln eines Rocks, und als sie sich umdrehte, sah sie im Halbdunkel der überdachten Galerie im ersten Stock eine wunderschöne, prächtig gekleidete Dame näher kommen.
So kam es ihr zumindest vor. Weder ihre Mutter noch ihre beiden Tanten hatte Angélique jemals in einem mit silbernen Blumen bestickten schwarzen Samtkleid gesehen. Wie hätte sie auch ahnen sollen, dass dies ein ausgesprochen schlichtes Gewand war, das jene frommen Damen trugen, die sich in die Stille einer Abtei zurückzogen. Das kastanienbraune Haar der Frau war mit einer Mantille aus schwarzer Spitze bedeckt, und in der Hand hielt sie ein dickes Gebetbuch. Als sie Angélique erreichte, warf sie ihr einen verwunderten Blick zu.
»Was machst du hier, Kind? Jetzt werden keine Almosen verteilt.«
Angélique wich zurück und bemühte sich, den einfältigen Gesichtsausdruck eines verschüchterten Bauernmädchens aufzusetzen.
Im Schatten der Gewölbe erschien ihr der Busen der Dame
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