Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
herumgewandert und befand sich nun am Fuß jener Mauer, die sie einst so oft hinaufgeklettert war, um die Schätze in dem verwunschenen Zimmer zu betrachten. Ringsum war kein Mensch zu sehen, denn die Paare, die nicht vor den abendlichen Nebelschleiern geflohen waren, welche den nahen Herbst ankündigten, blieben lieber auf den Rasenflächen vor dem Schloss.
Ein vertrauter Instinkt bewog sie dazu, ihre Schuhe auszuziehen, und trotz ihres langen Kleids kletterte sie behände bis zum Gesims im ersten Stock hinauf. Es war inzwischen vollständig dunkel geworden. Niemand, der unten vorbeigekommen wäre, hätte sie dort sehen können, zumal sie sich in den Schatten eines kleinen Türmchens schmiegte, das den rechten Schlossflügel zierte.
Das Fenster war offen. Angélique beugte sich vor. Sie erkannte, dass der Raum zum ersten Mal bewohnt sein musste, denn im Inneren leuchtete der goldene Schein eines diskreten Öllichts, was den geheimnisvollen Anschein der herrlichen Möbel und Wandbehänge noch unterstrich. Wie Schneekristalle leuchteten die Perlmuttintarsien eines kleinen Nähschränkchens aus Ebenholz.
Als Angéliques Blick auf das hohe, damastbezogene Bett fiel, hatte sie plötzlich den Eindruck, das Gemälde des Gottes und der Göttin sei zum Leben erwacht.
Zwei nackte weiße Körper umfingen sich dort inmitten von durcheinandergeratenen, zurückgeworfenen Laken, deren Spitzenbesatz auf den Boden hinabhing. Sie waren so eng ineinander verschlungen, dass Angélique zunächst glaubte, es handele sich um eine jugendliche Balgerei, einen Ringkampf zwischen rauflustigen, unzüchtigen Pagen, bis sie schließlich erkannte, dass sie einen Mann und eine Frau vor sich hatte.
Das braune lockige Haar des Mannes verdeckte das Gesicht der Frau fast vollständig, und sein langgliedriger Körper schien sie geradezu zerquetschen zu wollen. Doch er bewegte sich sanft, gleichmäßig, von einer Art wollüstiger Hartnäckigkeit beseelt, und der flackernde Schein des Nachtlichts enthüllte das Spiel seiner herrlichen Muskeln.
Von der Frau sah Angélique im Zwielicht nur einzelne Details: ein schlankes Bein, gegen den männlichen Körper angehoben, eine zwischen den sie umschlingenden Armen hervorquellende Brust, eine zarte weiße Hand. Diese flatterte wie ein Schmetterling hin und her, streichelte gedankenverloren den Rücken des Mannes, um dann plötzlich zur Seite zu sinken und vom Bett herabzuhängen. Angélique hörte die vermischten, immer abgehackter klingenden Atemzüge, gleich dem Wind eines sengend heißen Sturms. Dann ließ eine abrupte Entspannung sie zur Ruhe kommen. Und wieder drang das lang gezogene Klagen der Frau durch die Dunkelheit, während ihre Hand auf das weiße Laken fiel wie eine abgeschnittene Blüte.
Angélique war wie bezaubert und gleichzeitig so verwirrt, dass ihr beinahe schwindlig wurde. Nachdem sie so oft das Bildnis des Olymps betrachtet, seine von Erhabenheit umwehte Frische und Kraft bewundert hatte, strahlte diese Szene, deren Bedeutung sie als kundiges Landkind natürlich erfasste, eine überwältigende Schönheit aus. Das ist also Liebe, dachte sie bei sich, während ihr ein Schauer des Erschreckens und der Lust über den Rücken lief.
Schließlich lösten sich die beiden Liebenden voneinander. Wie bleiche Grabfiguren im Dämmerlicht einer Krypta lagen sie Seite an Seite in schläfriger Seligkeit. Keiner von beiden sprach. Die Frau rührte sich schließlich als Erste. Sie streckte ihren strahlend weißen Arm aus und nahm eine Karaffe mit tiefrot schimmerndem Wein vom Konsolentischchen neben dem Bett. Sie stieß ein leises, schuldbewusstes Lachen aus.
»O Liebster, ich bin wie zerschlagen«, murmelte sie. »Wir müssen unbedingt zusammen von diesem Wein aus dem Roussillon trinken, den Euer vorausschauender Diener dort hingestellt hat. Mögt Ihr einen Schluck?«
Aus den Tiefen des Alkovens antwortete der Mann mit einem Brummen, das man als Zustimmung interpretieren konnte. Die Dame, die ihre Kräfte inzwischen wiedererlangt zu haben schien, füllte zwei Gläser, reichte eines davon ihrem Liebhaber und leerte das andere mit genießerischem Vergnügen.
Mit einem Mal kam Angélique der Gedanke, dass sie jetzt gerne an ihrer Stelle wäre, in diesem Bett, splitternackt und entspannt den wärmenden Wein aus dem Süden trinkend. Das ist die Brautsuppe der Prinzen, sagte sie sich. Ihr war gar nicht bewusst, wie unbequem sie stand. Jetzt konnte sie die Frau zur Gänze sehen, bewunderte ihre
Weitere Kostenlose Bücher