Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
müssen wir handeln... Und den Informationen meiner Spione nach zu urteilen, zweifle ich nicht daran, dass seine Rückkehr kurz bevorsteht.«
Die Frau blieb nachdenklich.
»Heißt es nicht, die Königinmutter nehme hin und wieder mit dem Mann, den sie so liebt, die Mahlzeiten ein?«, fragte sie gedankenverloren.
»Das heißt es«, entgegnete Condé nach kurzem Schweigen. »Aber ich kann Eurem Plan nichts abgewinnen, meine Liebste. Mir schwebt ein wirkungsvollerer Schachzug vor. Was wäre denn die Königinmutter ohne ihre Söhne? Dann bliebe der Spanierin nichts anderes übrig, als sich in ein Kloster zurückzuziehen, um sie zu beweinen...«
»Ihr wollt den König vergiften?« Die Herzogin zuckte zusammen.
Der Prinz wieherte vor Lachen. Er ging zurück zum Sekretär und legte die Schatulle hinein.
»Ach, Ihr Frauen!«, rief er. »Der König! Ihr zerfließt vor Rührung, weil er ein hübscher Junge ist, der mitten in den Wirren der Jugend steckt und Euch seit einer Weile bei Hof schmachtende Blicke zuwirft. Für Euch ist das der König. Für uns aber ist er ein gefährliches Hindernis, das der Verwirklichung unserer Pläne im Weg steht. Und seinen Bruder, den Kleinen Monsieur, diesen fehlgeleiteten Knaben, der schon jetzt Gefallen daran findet, sich wie ein Mädchen zu kleiden und sich von Männern hätscheln zu lassen, sehe ich noch viel weniger auf dem Thron als Eure königliche Unschuld. Nein, glaubt mir, mit Monsieur d’Orléans bekommen wir einen König ganz nach unserem Geschmack. Er ist reich, von schwachem Charakter und ebenso freizügig, wie sein Bruder Ludwig XIII. streng war. Was wollen wir mehr?
Meine Liebe«, sprach Condé weiter, nachdem er den Sekretär wieder verschlossen und den Schlüssel in die Tasche seines weiten Schlafrocks hatte gleiten lassen, »ich glaube, es wird allmählich Zeit, dass wir vor unseren Gastgebern erscheinen. Das Abendessen wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Soll ich Eure Zofe Manon rufen lassen?«
»Das wäre sehr freundlich von Euch, mein Lieber.« Angélique, die allmählich spürte, wie ihre Glieder steif wurden, war ein Stück auf dem Gesims zurückgewichen. Ihr Vater würde sicher nach ihr suchen, aber sie konnte sich nicht dazu durchringen, ihren Beobachtungsposten zu verlassen. Im Zimmer überließen sich der Prinz und seine Mätresse den Händen ihrer Bediensteten, die sie unter reichlich Stoffrascheln und einigen Flüchen Seiner ungeduldigen Hoheit in ihre prächtigen Gewänder kleideten. Als Angélique den Blick von dem hellen Schirm des offenen Fensters abwandte, sah sie um sich herum nur finstere Nacht, und sie hörte nichts als das leise Rauschen des nahen Waldes, durch den der Wind strich.
Schließlich bemerkte sie, dass das Zimmer leer war. Das
Nachtlicht brannte noch, aber der Raum hatte seine geheimnisvolle Atmosphäre wiedergefunden.
Behutsam bewegte sich das Mädchen wieder näher ans Fenster und glitt ins Innere. Der Geruch von Schminke und verschiedenen Parfüms vermischte sich auf eigenartige Weise mit dem Duft nach feuchtem Holz, Moos und reifen Rosskastanien, der aus der Dunkelheit hereinwehte. Angélique wusste noch nicht genau, was sie tun sollte. Jemand könnte sie überraschen. Doch davor hatte sie keine Angst. Das Ganze war nichts als ein Traum. Genau wie ihre Expedition nach Amerika, die verrückte Dame von Monteloup oder die Verbrechen von Gilles de Retz …
Flink holte sie den kleinen Schlüssel zum Sekretär aus der Tasche des Schlafrocks, der auf einem Stuhl liegen geblieben war, öffnete ihn und zog die Schatulle heraus. Sie war aus Sandelholz gefertigt und verströmte einen intensiven Geruch. Nachdem Angélique den Sekretär wieder verschlossen und den Schlüssel an seinen Platz zurückgelegt hatte, huschte sie mit der Schatulle unterm Arm wieder hinaus auf das Gesims. Plötzlich verspürte sie eine diebische Freude. Sie stellte sich vor, welches Gesicht Monsieur de Condé wohl machen würde, wenn er entdeckte, dass das Gift und die kompromittierenden Briefe verschwunden waren.
Ich habe nicht wirklich gestohlen, dachte sie, ich will doch nur ein Verbrechen verhindern.
Sie wusste schon, wo sie ihre Beute verstecken würde. Die vier schlanken Ecktürmchen, mit denen der italienische Architekt das anmutige Schloss versehen hatte, dienten lediglich der Zierde, trotzdem waren sie mit winzigen Zinnen und Maschikulis versehen worden, um den wehrhaften Schmuck mittelalterlicher Bauten zu imitieren. Darüber hinaus waren sie
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