Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
innen hohl und wiesen Miniaturlukarnen auf.
Angélique schob die Schatulle durch die Lukarne, die ihr
am nächsten war. Und dort sollte sie erst einmal jemand suchen!
Dann glitt sie geschmeidig an der Fassade herab und gelangte wieder auf festen Boden. Da erst bemerkte sie, dass ihre nackten Füße eiskalt waren.
Nachdem sie ihre alten Schuhe wieder angezogen hatte, kehrte sie zurück ins Schloss.
Inzwischen hatten sich alle Gäste in den Salons versammelt, denn die dunkle, feuchte Nacht verlockte niemanden mehr zum Draußenbleiben.
Als Angélique die Eingangshalle betrat, stiegen ihr die köstlichsten Essensdüfte in die Nase. Sie sah eine Reihe junger livrierter Diener vorbeidefilieren, die feierlich silberne Platten vor sich hertrugen. Vor ihren Augen schwebten mit Federn verzierte Fasane und Bekassinen vorbei, ein mit Blumen bräutlich geschmücktes Spanferkel und mehrere Stücke von einem schönen Reh, die auf einem Bett aus Artischocken und Fenchel angerichtet waren. Das Klirren von Porzellan und Kristall drang aus den Sälen und Galerien, wo sich die gesamte Gesellschaft an kleinen Tischen mit Spitzendecken eingefunden hatte, die über die Räume verteilt waren. Etwa zehn Personen fanden an jedem von ihnen Platz.
Angélique, die an der Schwelle des größten Salons stehen geblieben war, erblickte den Prinzen von Condé, eingerahmt von Madame du Plessis, der Herzogin von Beaufort und der Gräfin de Richeville. Auch der Marquis du Plessis und sein Sohn Philippe saßen am Tisch des Prinzen, ebenso wie einige andere Damen und junge Herren. Die braune Kutte des Italieners Exili stand in eigenartigem Kontrast zu all den Spitzen, Bändern und mit Gold und Silber bestickten kostbaren Stoffen. Wenn der Baron de Sancé anwesend gewesen wäre, hätte
er das Gegenstück zu seiner klösterlichen Nüchternheit gebildet. Aber so sehr sich Angélique auch nach ihm umschaute, sie konnte ihren Vater nirgends entdecken.
Plötzlich erkannte sie einer der Pagen, der mit einer Karaffe aus feuervergoldetem Silber vorbeikam. Es war der Gleiche, der sie wegen der Bourrée so derb verspottet hatte.
»Ach, sieh da! Die Baronin vom Traurigen Gewande!«, scherzte er. »Was wollt Ihr trinken, Nanon? Einen Becher Apfeltresterwein oder lieber gute Dickmilch?«
Sie streckte ihm die Zunge heraus, ließ ihn stehen und ging auf den Tisch des Prinzen zu.
»Gütiger Gott, was kommt denn da?«, rief die Herzogin von Beaufort.
Madame du Plessis folgte ihrem Blick, entdeckte Angélique und rief einmal mehr ihren Sohn zu Hilfe.
»Philippe! Philippe, mein Lieber, seid so gut und führt Eure Cousine de Sancé an den Tisch der Ehrenjungfern.«
Der junge Bursche hob seinen mürrischen Blick zu Angélique.
»Hier ist noch ein Schemel frei«, sagte er und deutete auf den Platz neben sich.
»Nicht hier, Philippe, nicht hier. Ihr hattet diesen Platz für Mademoiselle de Senlis reserviert.«
»Dann hätte Mademoiselle de Senlis sich eben beeilen sollen. Wenn sie kommt, wird sie sehen, dass wir einen Ersatz für sie gefunden haben... und zwar einen besseren«, schloss er mit einem kurzen ironischen Lächeln.
Seine Nachbarn lachten schallend auf.
Währenddessen setzte sich Angélique auf den ihr zugewiesenen Platz. Sie war schon zu weit gegangen, um jetzt noch einen Rückzieher machen zu können. Sie wagte nicht, nach ihrem Vater zu fragen, und das funkelnde Licht, das von den Gläsern, den Karaffen, dem silbernen Geschirr und den Diamanten
der Damen zurückgeworfen wurde, blendete sie so sehr, dass ihr fast schwindlig wurde. Sie richtete sich gerade auf, schob die Brust vor und strich ihr schweres goldenes Haar zurück. Es schien ihr, als würfen ihr ein paar der Herren Blicke zu, die nicht ganz frei von Interesse waren. Quer über den Tisch hinweg musterte sie der Raubvogelblick des Prinzen von Condé mit arroganter Aufmerksamkeit.
»Teufel noch eins, was habt Ihr bloß für seltsame Verwandte, Monsieur du Plessis? Was ist das für ein graues Entchen?«
»Eine junge Cousine vom Land, Monseigneur. Ach Gott, ich verdiene Euer Mitgefühl! Statt unseren Musikern und dem charmanten Geplauder der Damen zu lauschen, musste ich mir heute Abend geschlagene zwei Stunden die Vorwürfe ihres Vaters anhören, eines Barons, von dessen Atem mir immer noch unwohl ist – oder wie es unser zynischer Dichter Argenteuil ausdrücken würde: » Von seinem Brodem ward mir sterbensübel, als sei’s ein Pesthauch oder Jauchekübel! «
Ein lautes,
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