Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
aber was soll sie gegen diese ganze Verkommenheit ausrichten? Seelen kann man durch Verordnungen nicht ändern...«
Er verstummte, als sich die Sakristeitür öffnete.
Ein junger Mann mit langem lockigem Haar und in äußerst elegantem schwarzem Aufzug kam herein.
Monsieur Vincent richtete sich auf und bedachte ihn mit einem strengen Blick.
»Monsieur, ich will davon ausgehen, dass Ihr nicht wisst, welche Geschäfte Euer Küster betreibt. Er hat von diesem jungen Mann hier gerade dreißig Livres dafür bekommen, dass er ihm die Möglichkeit verschafft hat, seine Liebste in der Kanzel Eurer Kirche zu treffen. Es wäre an der Zeit, dass Ihr Eure Geistlichen etwas besser im Auge behaltet.«
Um Zeit zu gewinnen schloss der Vikar die Tür mit äußerster Sorgfalt hinter sich. Doch als er sich umdrehte, konnte selbst das Halbdunkel im Raum nicht darüber hinwegtäuschen, wie verlegen er war.
»Außerdem stelle ich fest, dass Ihr eine Perücke und weltliche Kleidung tragt«, sprach Monsieur Vincent auf sein Schweigen
hin weiter. »So etwas ist Priestern verboten. Ich sehe mich gezwungen, den Kommendatar Eurer Pfarrei darüber zu informieren, was hier vor sich geht.«
Nur mit Mühe unterdrückte der Geistliche ein Schulterzucken.
»Das wird ihm herzlich gleichgültig sein, Monsieur Vincent. Mein Kommendatar ist ein Pariser Kanonikus. Er hat das Amt vor drei Jahren dem früheren Pfarrer abgekauft, der sich auf seine Ländereien zurückgezogen hat. Seitdem ist er noch nicht ein Mal hier gewesen, und da er in einem Haus des Domkapitels an der Apsis von Notre-Dame in Paris lebt, wette ich, dass Notre-Dame-la-Grande in Poitiers ihm recht unbedeutend erscheinen muss.«
»Ach, es ist entsetzlich!«, rief daraufhin Monsieur Vincent. »Dieser verdammenswerte Handel mit Pfründen und Pfarreien, die verschachert werden wie Esel und Pferde auf dem Markt, wird die Kirche noch in den Untergang reißen. Und wer wird in diesem Land mittlerweile zu Bischöfen ernannt? Kriegsherren von lasterhaftem Lebenswandel, die mitunter nicht einmal die Weihen empfangen haben, aber genügend Vermögen besitzen, um eine Diözese zu erwerben, und sich dann erdreisten, den Ornat der Diener Gottes anzulegen...! Möge der Herr uns helfen, solche Institutionen umzustürzen!«
»Meine Pfarrei ist nicht vernachlässigt«, wagte der Vikar, glücklich darüber, dass der Zorn des alten Mannes nicht länger ihm galt, einzuwenden. »Ich kümmere mich darum und verwende meine ganze Sorge auf sie. Erweist uns die große Ehre, Monsieur Vincent, heute Abend an unserer Anbetung des Allerheiligsten Sakraments teilzunehmen. Dann werdet Ihr sehen, dass die Kirche mit Gläubigen gefüllt ist. Dank des Eifers seiner Priester ist Poitiers von der Häresie verschont geblieben. Hier ist es anders als in Niort, Châtellerault und...«
Der Greis warf ihm einen finsteren Blick zu.
»Die Laster der Priester waren überhaupt erst der Auslöser für diese Häresien!«, rief er unwirsch.
Er stand auf, legte je eine Hand auf die Schultern der beiden jungen Leute und führte sie hinaus. Trotz seines hohen Alters und seines gekrümmten Rückens wirkte er voller Kraft und Leben.
Der Abend senkte sich auf den Platz vor der poitevinischen Kirche herab, und das bleiche Licht des Winters erweckte die steinernen Blumen zum Leben.
»Meine Schäfchen«, sagte Monsieur Vincent, »meine kleinen Kinder des guten Gottes, ihr habt versucht, von der unreifen Frucht der Liebe zu kosten. Darum sind eure Zähne gereizt und eure Herzen voller Kummer. Lasst erst in der Sonne des Lebens reifen, was seit jeher dazu bestimmt ist, aufzublühen. Auf der Suche nach Liebe darf man nicht in die Irre gehen, denn dann kann es geschehen, dass man sie niemals findet. Welch grausamere Strafe kann man sich für Ungeduld und Schwäche denken, als sein Leben lang dazu verdammt zu sein, nur in bittere, geschmacklose Früchte zu beißen!
Geht nun beide dorthin zurück, wo ihr hingehört. Du, mein Junge, zu deinem Dienst, den du gewissenhaft verrichten sollst. Und du, Mädchen, zu deinen Nonnen und deinen frommen Arbeiten. Und wenn die Sonne wieder aufgeht, vergesst nicht, zu Gott, unser aller Vater, zu beten.«
Damit ließ er sie gehen. Sein Blick folgte ihren anmutigen Silhouetten, bis sie sich an der Ecke des Platzes trennten.
Angélique sah sich erst wieder um, als sie die Klosterpforte erreicht hatte. Tiefer Friede erfüllte sie. Aber auf ihrer Schulter spürte sie immer noch die Erinnerung an eine
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