Angélique - Hochzeit wider Willen
gestellt haben? Sie überlegte, dass sie am Vorabend im Halbdunkel die Vase wohl nicht gesehen hatte, die am Kopfende ihres Betts auf einem kleinen runden Tischchen stand.
Die Stille schien darauf hinzudeuten, dass das Haus so gut wie verlassen war.
Durch die großen, offenen Fenster des Zimmers, in dem sie sich befand, sah sie, dass die Sonne am Himmel aufstieg und triumphierend und rückhaltlos ihr goldenes Licht über die Landschaft ausgoss, die an ihre Herrschaft gewöhnt war.
Angélique wickelte sich in ihr spitzenbesetztes Laken, glitt aus dem Alkoven und trat an die Fensterfront. In der Ferne erblickte sie die Silhouette einer Stadt mit unzähligen Türmen und Kirchen; und alles war rosa, tiefrosa wie die Blume, die sie heute Morgen beim Aufwachen begrüßt hatte; und sie erinnerte sich, dass man Toulouse, das aus Backstein und rosa Marmor erbaut war, die »rosafarbene Stadt« nannte.
Tatsächlich stand die Sonne schon hoch am Himmel, und die Vögel waren, ermattet durch die Wärme, verstummt und hatten sich in den Schatten zurückgezogen. Der Fluss wand sich als goldglitzerndes Band durch die Ebene.
Völlig hingerissen von der märchenhaften Landschaft glaubte Angélique, eine ferne Musik zu hören. Sie fühlte sich ruhig, und ihre Gedanken schienen klarer zu sein. Für den Moment beruhigte sie die Zusicherung ihres seltsamen Gatten, er werde sie nicht anrühren, solange sie selbst es nicht wünsche. Glaubt er denn, dass ich irgendwann sein kurzes Bein und sein entstelltes Gesicht schön finden werde...?
Vorsichtig machte sie sich mit der Aussicht auf ein angenehmes Dasein an der Seite eines Mannes vertraut, mit dem sie in gutem Einvernehmen leben, den sie aber selten sehen würde. Jeder würde seinen eigenen Beschäftigungen nachgehen. Sie würde Freunde besuchen und sich um die wohltätigen Werke des Erzbischofs kümmern.
Die Musik wurde lauter.
Aus den Gärten, die das kleine Gebäude umgaben, vernahm sie Stimmen, die bald im Vestibül im Erdgeschoss zu hören waren; und kurz darauf trat Marguerite ein. Auf ihrer Miene malte sich leise Heiterkeit, und sie wurde von Zofen und zwei Lakaien begleitet, die Becken mit heißem Waschwasser trugen.
Nachdem sie ihr ihren Gruß entboten hatte, richtete Marguerite ihr vom Herrn Grafen aus, wenn die Frau Gräfin sich müde fühle, solle sie sich ruhig den ganzen Tag in dem Lustschlösschen an der Garonne ausruhen. Wenn dem nicht so sei, so wäre er erfreut, sie im Palast der fröhlichen Wissenschaft in Toulouse zu begrüßen, um ihr die Gäste des heutigen Tages vorzustellen; und sie möge ihm die Freude bereiten, zusammen mit ihm den Vorsitz beim Mittagsmahl zu führen, zu dem er sie einlade.
»Halten sich denn immer noch so viele Gäste im Palast der fröhlichen Wissenschaft auf, Marguerite?«
»Wir haben immer viele Gäste im Palast, Madame. Er ist das Herz der Stadt! Das Leben dort ist ein einziges großes Fest, denn so wünscht es unser Herr...«
Marguerite schützte ein wenig ehrerbietige Überraschung vor.
Hatte Angélique nach diesem überwältigenden Empfang, nach dem Regen aus Blumen, Goldstücken und Konfekt, der sie durch die Stadt begleitet hatte, gefolgt von Banketten und Tanz und schließlich – als Krönung – ihrer Hochzeitsnacht noch nicht begriffen, wo sie war? In dieser Stadt liebte man es, Feste zu feiern.
Die Kammerfrau, die am Boden kniete, um den Rock eines Ensembles zuzuhaken, das zwar einfacher als das gestrige war, aber von einem so weichen, leichten Stoff, dass dieser bei der leisesten Bewegung um sie herumschwang, sah mit ihrem kecken, aber wohlwollenden Blick zu Angélique auf und verbesserte sich.
»Unser Herr, der Euch von heute an zu seiner Königin erwählt hat.«
Die jungen Zofen und sogar der Page, der die Schmuckschatulle zu tragen hatte, kicherten entzückt. Marguerite stand
auf und warf ihnen einen strengen Blick zu; dann bat sie Angélique, den Schmuck auszuwählen, den sie heute tragen wolle.
Diese Frau ist nicht dumm, dachte Angélique. Sie will mir etwas zu verstehen geben und... außerdem bleibt mir nichts anderes übrig. Ich bin jetzt die Gräfin de Peyrac und die Ehefrau des Mannes, der über Toulouse regiert.
»Welche Lustbarkeiten sind denn vorgesehen, Marguerite? Und wie viele Gäste nehmen an diesem Mittagsmahl teil?«
»Oh, nur ein paar ausgesuchte Freunde, allerhöchstens fünfzehn. Aber es sind noch weitere Gäste aus der Stadt eingeladen, anschließend auf der Terrasse
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