Angélique - Hochzeit wider Willen
die außer mir als Einzige das Gemetzel überlebt hatte, in seine Kiepe gesteckt. Der Mann musste mehrere Schneestürme überwinden, bis er die Ebene erreichte. Als er nach Toulouse kam, lebte ich noch. Meine Mutter brachte mich auf eine sonnenbeschienene Terrasse, entkleidete mich und verbot den Ärzten, in meine Nähe zu kommen, denn sie behauptete, die würden mich endgültig umbringen. So habe ich gleichsam Jahre in der Sonne liegend zugebracht. Erst mit zwölf Jahren habe ich wieder laufen gelernt. Mit sechzehn habe ich mich eingeschifft. Dies also ist der Grund, weshalb ich Zeit hatte, so viel zu studieren. Zuerst dank meiner Verletzung und der erzwungenen Untätigkeit, und anschließend durch meine Reisen. Daran ist nichts Verdächtiges.«
Der Erzbischof schwieg einen Moment lang. »Eure Erzählung erhellt vieles«, meinte er dann nachdenklich. »Da erstaunt es mich nicht, dass Ihr Sympathien für die Protestanten hegt.«
»Ich hege keine Sympathien für die Protestanten.«
»Dann sagen wir, eine Abneigung gegen die Katholiken.«
»Auch Abneigung gegen die Katholiken hege ich nicht. Ich bin, Monsieur, ein Mann der Vergangenheit und fühle mich in unserer engstirnigen Zeit nicht wohl. Ich hätte ein- oder zweihundert Jahre früher zur Welt kommen sollen, in der Zeit der Renaissance – ein Name, der süßer klingt als der der Reformation -, als die französischen Barone Italien entdeckten und
darüber das leuchtende Erbe der Antike: Rom, Griechenland, Ägypten, die Lande der Bibel...«
Eine fast unmerkliche Regung, die Angélique nicht entging, überlief Monseigneur de Fontenac.
Jetzt hat er ihn dort, wo er ihn haben wollte, dachte Angélique.
»Sprechen wir von den biblischen Landen«, tastete sich der Erzbischof vor. »Heißt es nicht in der Heiligen Schrift, König Salomo sei einer der ersten Magier gewesen und habe Schiffe nach Ophir geschickt, wo er, geschützt vor neugierigen Blicken, unedles Metall durch Transmutation in edles verwandelt habe? Die Bibel erzählt, er sei mit goldbeladenen Schiffen zurückgekehrt.«
»Die Geschichte berichtet auch, Salomo habe bei seiner Rückkehr die Steuern verdoppelt, was beweist, dass er nicht sonderlich viel Gold mit zurückgebracht haben kann, und außerdem, dass er sich nicht sicher war, wann er an neues Geld herankommen würde. Wenn er tatsächlich das Geheimnis des Goldmachens entdeckt hätte, dann hätte er weder die Steuern erhöht noch sich die Mühe gemacht, seine Schiffe nach Ophir zu schicken.«
»Möglicherweise wollte er in seiner Weisheit seine Untertanen nicht in Geheimnisse einweihen, die sie hätten missbrauchen können.«
»Ich sage Euch noch mehr: Salomo konnte die Transmutation von Metallen zu Gold gar nicht beherrschen, weil diese Transmutation physikalisch unmöglich ist. Die Alchemie ist eine Kunst, die nicht existiert, sie ist nur eine düstere Farce, die aus dem Mittelalter stammt und bald der Lächerlichkeit anheimfallen wird, denn niemand wird diese Transmutation jemals zustande bringen.«
»Und ich sage Euch«, rief der Erzbischof aus und erbleichte,
»dass ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe, wie Bécher einen Zinnlöffel in eine von ihm ersonnene Flüssigkeit tauchte und ihn, in Gold verwandelt, wieder herauszog.«
»Er ist nicht in Gold verwandelt, sondern nur damit überzogen worden. Hätte der brave Mann sich die Mühe gemacht, diese äußere Haut mit einem Stichel abzukratzen, hätte er sogleich das Zinn darunter entdeckt.«
»Das ist richtig; aber Bécher versichert, dies sei nur der Beginn der Transmutation, das erste Stadium des Phänomens.«
Schweigen trat ein. Joffrey de Peyracs Hand glitt über die Armlehne von Angéliques Sessel und streifte das Handgelenk der jungen Frau.
»Wenn Ihr so überzeugt davon seid, dass Euer Mönch die magische Formel entdeckt hat«, meldete sich der Graf gelassen zu Wort, »was wollt Ihr dann heute Morgen von mir?«
Der Erzbischof zuckte nicht mit der Wimper.
»Bécher ist überzeugt davon, dass Ihr das letzte Geheimnis kennt, durch das die Transmutation vollendet wird.«
Der Graf de Peyrac brach in schallendes Gelächter aus.
»Noch nie habe ich etwas Komischeres gehört. Ich soll mich mit so kindlichen Versuchen abgeben? Armer Bécher! Ich überlasse ihm gern alle Aufregungen und Hoffnungen dieser falschen Wissenschaft, die er ausübt, und...«
Ein fürchterlicher Knall, der wie ein Donnerschlag oder Kanonenschuss klang, unterbrach ihn.
Joffrey war
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