Angélique - In den Gassen von Paris
dass der Flickschuster, bei dem sie sich erkundigt hatte, ihr diese Auskunft gegeben hatte; aber damals war sie so erschrocken über das Verschwinden ihrer Kinder gewesen, dass sie gar nicht darauf geachtet hatte. Die arme Hortense! Da hatte sie sicher ein weiteres Mal darüber geklagt, wie viel Unglück ihnen Peyracs Prozess gebracht habe.
»Siehst du sie manchmal?«
»Ja, und auch Raymond und die anderen. Keiner von ihnen
ist besonders stolz auf mich, aber porträtieren lassen sie sich alle gern.«
Kurz zögerte Angélique.
»Und … wenn ihr euch trefft … sprecht ihr dann auch von mir?«
»Nein, nie«, erwiderte der Maler hart. »Das ist eine zu schreckliche Erinnerung für uns, eine Katastrophe, ein Zusammenbruch, der uns das Herz zerrissen hat, jedenfalls das Wenige, was wir an Herz besitzen. Glücklicherweise wussten nicht viele, dass du unsere Schwester warst … Du, die Frau des Hexers, den man auf dem Place de Grève verbrannt hat!«
Doch während er sprach, hatte er ihre Hand zwischen seine Finger genommen, die mit Farbe bekleckst und verhornt von den Säuren waren, mit denen er arbeitete. Er bog sie auf, berührte ihre kleine Handfläche, die noch die Spuren von Brandblasen, die sie sich am Herd geholt hatte, trugen, und drückte sie zärtlich an seine Wange. Das hatte er in ihrer Kindheit oft getan …
Angélique wurde die Kehle so schmerzlich eng, dass sie glaubte, gleich weinen zu müssen. Aber es war zu lange her, dass sie geweint hatte! Ihre letzten Tränen hatte sie schon lange vor Joffreys Tod vergossen, und sie war nicht mehr daran gewöhnt.
Sie zog die Hand weg und schaute sich die Bilder, die an den Wänden lehnten, an.
»Du machst sehr schöne Dinge, Gontran«, sagte sie beinahe schroff.
»Ja. Und trotzdem muss ich mich von den großen Herren duzen lassen; und die Bürger betrachten mich mit Herablassung, weil ich diese schönen Dinge mit meinen Händen herstelle. Soll ich vielleicht mit den Füßen arbeiten?
Warum ist es denn ehrenhafter, ein Schwert zu führen als einen Pinsel? Schließlich vollbringt man doch beides mit den Händen.«
Immer noch grollte er den Hindernissen, die sich seit jeher seinem Traum, Künstler zu werden, entgegengestellt hatten und die er für unsinnig hielt; und das lag nicht nur daran, dass er zu wenig Geld verdiente.
Er schüttelte den Kopf, und ein Lächeln erhellte sein Gesicht. Die Ehe hatte ihn fröhlicher und gesprächiger gemacht.
»Ich bin zuversichtlich, Schwesterchen. Eines Tages werden wir an den Hof gehen, alle beide, nach Versailles. Der König braucht viele Künstler. Ich werde die Decken der Gemächer ausmalen und Prinzen und Prinzessinnen porträtieren, und der König wird zu mir sagen: ›Ihr macht sehr schöne Dinge, Monsieur.‹ Und dir sagt er dann: ›Madame, Ihr seid die schönste Frau von Versailles.‹«
Die beiden brachen in Gelächter aus.
Angélique ließ ihm eine Anzahlung da und gab ihm alle Anweisungen, die er für ihr Wirtshausschild brauchte.
Zufrieden ging sie nach Hause. Für das, was er über Versailles gesagt hatte, seine Voraussage, dass sie beide dort eine hohe Stellung einnehmen würden, so wie in ihren Kinderträumen, verzieh sie ihm seine grausamen Worte über Joffrey, ihren Mann, der auf dem Place de Grève verbrannt worden war.
Die ganze Familie zürnte ihr, weil sie ihr Leben zerstört hatte.
Niemals würde sie ihnen erklären, ihnen begreiflich machen können … Sie würden nie aufhören, ihr Vorwürfe zu machen, weil dieser Prozess die Familie Sancé entehrt hatte – diese Familie, die sie durch ihre Heirat mit Joffrey
aus dem Elend errettet hatte. Sie würden in ihr immer nur die Frau sehen, die mit einem verfluchten Hexer vermählt gewesen war.
Aber ich habe immerhin die Liebe kennengelernt, dachte sie, und eine Woge des Glücks stieg in ihr auf wie ein helles Licht. Das konnte ihr niemand nehmen! Für gewöhnlich weigerte sie sich, daran zu denken, um nicht in unerträglicher Trauer zu versinken. Aber jetzt, da sie allein war, von ihrer Familie getrennt durch einen Abgrund des Unverständnisses, der durch nichts zu überbrücken war, schenkte ihr diese plötzlich über sie hereinbrechende Erinnerung an das wunderbare Leben, dass sie mit ihm geführt hatte, neue Kräfte. Sie hatte die Liebe gekannt, seine Liebe! Und das ließ sie all das Unglück, das über sie gekommen war, mit anderen Augen sehen.
Das Schild der Taverne zur Roten Maske würde wie ein Leuchtturm alle
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