Angélique - In den Gassen von Paris
ihr.
»Meine Schöne«, begann er, »ich sehe, dass du guter
Laune, aber nicht reich bist. Willst du dir zwanzig Livres verdienen?«
»Und wie?«, fragte sie, nachdem sie ihn gemustert hatte.
»Mein Herr ist ein sehr respektabler Ausländer, der sich zum ersten Mal in Paris aufhält. Er brennt so darauf, die privaten Reize der Pariserinnen kennenzulernen, dass er mich sofort losgeschickt hat, damit ich ihm für heute Nacht eine fröhliche und liebenswürdige Gefährtin auftreibe. Da bin ich gleich zum Pont-Neuf gegangen, denn ich weiß, dass man dort die größte Auswahl hat. Du bekommst Schuhe, ein Kleid, ein gutes Abendessen und zwanzig Livres. Du sollst noch wissen, dass mein Herr kein alter Mann ist, sondern jung und von angenehmem Äußerem, wenngleich ein wenig korpulent. Bist du einverstanden?«
»Ganz und gar nicht.«
»Soll ich mit deinem Zuhälter reden?«
Angélique stieß einen leisen Pfiff aus, als wolle sie ihrer Bewunderung Ausdruck verleihen.
»Du bist aber auf keinen Fall fremd hier.«
»Aber nein«, gab der Diener zurück. »Ich stamme aus Paris. Aber ich stehe nun schon drei Jahre in den Diensten eines niederländischen Edelmanns aus der Provinz Holland. Der Krieg hat mich dorthin verschlagen, ohne dass ich genau wüsste, wie. Heute stehe ich zum ersten Mal wieder auf dem Pont-Neuf.«
Staunend sah er sich um, und Angélique nutzte die Gelegenheit, um in der Menge zu verschwinden.
Ein Stück weiter versuchte auf einer kleinen Bühne ein alter Mann mit Holzbein, die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden zu erhaschen.
»Kommt und schaut den roten Mann an. Das allerseltsamste Naturphänomen. Ihr haltet Euch für sehr gebildet,
weil Ihr schon ein paar Menschen mit schwarzer Haut gesehen habt. Aber gibt es etwas Banaleres als diese Marokkaner, die der Sultan uns in großer Zahl schickt? Ich aber werde Euch den unbekannten Mann aus der unbekannten Welt zeigen, die ich Amerika nenne, ein Land der Wunder, aus dem ich selbst komme …«
Als Angélique das Wort »Amerika« vernahm, blieb sie vor dem Podest stehen.
Der Schausteller mit dem Holzbein war ein alter, schlecht rasierter Mann, der sich ein rotes Tuch um den Kopf gebunden hatte. Er hatte sich, anders als die anderen Vorführer oder Gaukler vom Pont-Neuf, nicht die Mühe gemacht, sich in bunte Flittergewänder zu hüllen. Sein schmutziges, rot und weiß gestreiftes Hemd, sein geflicktes Wams und seine gebrochene Stimme, die nicht weit trug, zogen kaum Zuschauer an. In einem Ohr trug er einen kleinen Goldring.
»Ich, der ich ein alter Seemann bin, der sein ganzes Leben lang ohne Unterlass auf den Schiffen des Königs gefahren ist, was könnte ich Euch nicht alles über diese unbekannten Länder sagen? Aber ich sehe schon, dass Ihr es eilig habt, Mesdames et Messieurs. Ich habe nicht nur meine Erinnerungen, sondern auch dieses seltsame Wesen, das ich dort, in Amerika, selbst eingefangen habe.«
Mit einem Stock wies er auf eine Art mit einem Vorhang verschlossenes Bretterhäuschen, das die ganze Ausstattung seiner Vorführung darstellte.
»Der rote Mann, Mesdames und Messieurs, der rote Mann!«
Angélique warf die paar Sols, die sie noch hatte, in eine Bettelschale, die vor der Bühne stand. Andere Zuschauer taten es ihr nach.
Als der Krüppel der Meinung war, der Zuschauerkreis sei ausreichend groß, zog er mit einer theatralischen Bewegung den Vorhang hoch.
Im Inneren des Verschlags befand sich eine Statue, die aus Ton hätte sein können. Sie trug Federn an Kopf und Lenden.
Dann bewegte sich die Statue und trat ein paar Schritte weit in die Sonne hinaus. Im Publikum erhob sich Stimmengemurmel. Kein Zweifel, das war wirklich ein Mensch. Er besaß eine Nase, einen Mund, mit Ringen geschmückte Ohren, schrägstehende Augen, die auf die Menge gerichtet waren, Hände und Füße. Seine Haut hatte einen ziemlich ausgeprägten Kupferton, der aber, wie die Zuschauer meinten, kaum intensiver war, als man bei manchen spanischen oder italienischen Bergbewohnern sah. Abgesehen von den Federn, die ihm aus den Lenden und dem Kopf zu wachsen schienen, war diese Rothaut also nicht dermaßen außerordentlich.
Nachdem die Leute ihn sich angesehen und ihre Ansichten ausgetauscht hatten, gingen sie ihrer Wege, und der ehemalige Seemann schickte das Phänomen zurück in seinen Verschlag. Dann gönnte er sich eine Pause und rieb ein wenig Tabak, den er zu einer kleinen Kugel rollte, in den Mund steckte und zu kauen begann.
Angélique war
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