Angelique und der Koenig
zu lassen, und gegen das Bedürfnis, sie zurückzurufen, sie bis zum Morgengrauen bei sich zu behalten, in seinen Arm geschmiegt wie ein bebendes, versonnenes kleines Tier. Torheit! Gefährliche Schwäche. All das würde im Kriegsgetümmel, beim Pfeifen der Kanonenkugeln von ihm abfallen.
Vierundzwanzigstes Kapitel
Bald nach dem Aufbruch des Marschalls du Plessis-Bellière schlug auch für Cantor die Stunde des Abschieds. Im letzten Augenblick noch hatte Angélique ihn zurückhalten wollen. Sie war niedergeschlagen, und düstere Vorahnungen bedrängten sie. Sie hatte begonnen, Philippe regelmäßig nach der Franche-Comté zu schreiben, aber er antwortete nie, und sie empfand sein Schweigen als eine Demütigung, so sehr sie sich auch dagegen wehrte. Wann würde Philippe ihr endlich gestehen, dass er sie liebte? Vielleicht nie. Vielleicht war er unfähig zu lieben – oder sich bewusst zu machen, dass er liebte? Er war kein Freund philosophischer Gedankengänge und innerer Besinnung – er war ein Krieger. Ehrlich davon überzeugt, dass er sie verabscheue, bemühte er sich überdies, es ihr zu beweisen. Aber er würde nicht auslöschen können, was zwischen ihnen aufgekeimt war, die uneingestandene Gemeinsamkeit des Genusses, die sie immer wieder zueinandertreiben würde. Dagegen vermochten weder die scheinheiligen Frömmler etwas noch die spöttischen Lebemänner, weder der König noch Philippe selbst.
Cantor reiste ab.
Wie immer nahmen gesellschaftliche Verpflichtungen Angélique so in Anspruch dass sie nur selten dazu kam, an jenen nebligen Morgen zurückzudenken, an dem der Junge mit freudig gerötetem Gesicht in die Kutsche des Herzogs von Vivonne gestiegen war, gefolgt von seinem Lehrer Gaspard de Racan. Er war in ein mit Spitzen und Schleifen geschmücktes Gewand aus grünem Moire gekleidet gewesen, der mit der Farbe seiner Augen übereinstimmte. Auf seinem gekräuselten Haar hatte ein großer, schwarzer, mit weißen Federn gezierter Samthut gesessen. Seine bebänderte Gitarre war ihm beim Einsteigen hinderlich gewesen. Er hatte sie behutsam an sich gepresst wie ein kleines Kind sein Lieblingsspielzeug. Sie war Angéliques letztes Geschenk. Eine Gitarre aus Antillenholz mit eingelegtem Perlmutter, die der bekannteste Instrumentenmacher der Hauptstadt für ihn entworfen und gebaut hatte.
Barbe war der Kutsche schluchzend bis in den dunklen Torweg gefolgt. Angélique hatte sich beherrscht. So war das Leben nun einmal. Die Kinder zogen hinaus. Aber bei jeder Etappe zerriss ein weiteres zartes Band im Herzen der Mutter…
Sie erkundigte sich von nun an mit verstärktem Interesse nach den Vorgängen im Mittelmeer. Als Verbündete der Venezianer gegen die Türken, die sich der letzten Bastion des Christentums im Mittelmeer zu bemächtigen suchten, waren die französischen Galeeren mit einer Gott wohlgefälligen Mission betraut, und der Herzog von Vivonne samt seinen Truppen verdiente den Namen Kreuzfahrer.
Angélique musste lächeln, wenn sie an den kleinen Cantor dachte, das winzigste und unschuldigste Rädchen der heiligen Expedition. Sie sah ihn im Geiste auf dem Bug eines Schiffes sitzen, von den Bändern seiner Gitarre umflattert.
Ihre spärlichen Mußestunden nutzte sie, um wieder mit Florimond in Kontakt zu kommen. Ob er unter der Trennung von Cantor litt? Oder war er eifersüchtig, weil sein jüngerer Bruder so glänzend vorankam und bereits für würdig befunden worden war, an Schlachten teilzunehmen? Sie merkte bald, dass es Florimond, obwohl er sich ihr gegenüber größter Höflichkeit befleißigte, sehr schwer fiel, auch nur zehn Minuten stillzusitzen. Gar vielerlei Beschäftigungen warteten auf ihn: sein Pferd zu reiten, seinen Falken füttern, seine Dogge versorgen, seinen Degen blankputzen, sich vorbereiten, um den Dauphin zur Reitbahn oder auf die Jagd zu begleiten. Geduldig war er nur, wenn eine Lateinstunde beim Abbé de Lesdiguières in Aussicht stand.
»Ich unterhalte mich mit meiner Mutter«, pflegte er dann zu seinem Lehrer zu sagen, der sich in solchen Fällen resigniert zurückzog. Das Thema der Unterhaltung bildeten in der Hauptsache die Talente des Messire Florimond auf dem Gebiet des Duells. Obwohl er eher sensibel und zart wirkte, waren seine Neigungen ausgesprochen jungenhaft. Er träumte von nichts anderem als davon, sich zu schlagen, zu siegen, zu töten und seine Ehre zu verteidigen. Nur mit einem Degen in der Hand fühlte er sich wohl, und er übte sich bereits darin, mit der
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