Angelique und der Koenig
verliehen. Er ist würdig, von einer Mutter getragen zu werden, die dem Vaterland ihren Sohn geopfert hat.«
Er trat hinter sie, um ihn ihr um den Hals zu legen.
»Philipp«, flüsterte Angélique atemlos, »was soll das heißen? Was hat das zu bedeuten? Erinnert Ihr Euch der Wette, die wir eines Tages auf den Stufen von Versailles abschlossen?«
»Ich erinnere mich, Madame. Ihr habt sie gewonnen.«
Er schob ihre blonden Locken auseinander, beugte sich über sie und küsste lange die Rundung ihres weißen Nackens. Angélique rührte sich nicht. Philippe drehte sie zu sich um, um ihr Gesicht zu sehen. Sie weinte.
»Weint nicht mehr«, sagte er und drückte sie an sich. »Ich bin gekommen, um Eure Tränen zu trocknen, und nicht um Euch neue vergießen zu lassen. Ich habe es nie ertragen, Euch weinen zu sehen. Ihr seid doch eine große Dame, zum Teufel!«
»Er ist verliebt! Rasend verliebt!« sagte sich Angélique. »Nichts anderes kann dieses Geschenk bedeuten.«
Er liebte sie also, und er hatte es ihr mit einer Zartheit gestanden, die Balsam für ihr wundes Herz war. Sie nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und betrachtete es liebevoll.
»Wie konnte ich ahnen, dass sich hinter Eurer schrecklichen Boshaftigkeit soviel Güte verbirgt! Im Grunde seid Ihr ein Poet, Philippe.«
»Ich weiß nicht mehr, was ich bin«, knurrte er ärgerlich. »Eins nur ist gewiss: dass Ihr mit dem Familienschmuck der Plessis-Bellière um den Hals vor mir steht und dass ich darüber recht beunruhigt bin. Keine meiner Vorfahren vermochte ihn zu tragen, ohne sofort von Krieg und Rebellion zu träumen. Meine Mutter trug kaum die Edelsteine auf ihrer Brust, als sie auch schon im Poitou Armeen für den Fürsten Condé auszuheben begann. Ihr erinnert Euch dessen genau wie ich. Auf was für Ideen werdet Ihr nun kommen? Als ob Ihr eine zusätzliche Dosis Beherztheit nötig hättet!«
Er presste sie abermals an sich und lehnte seine Wange an die ihre.
»Und Ihr schautet mich immer an mit Euren grünen Augen«, murmelte er.
»Ich habe Euch gepeinigt, geschlagen, gedroht, und immer wieder habt Ihr den Kopf erhoben wie eine Blume nach dem Unwetter. Es hat mich erbittert, aber auf die Dauer flößte es ein Gefühl der... der Zuversicht ein. Welche Beharrlichkeit bei einer Frau! Ich konnte es nicht fassen. Ich war Beteiligter und Zuschauer zugleich bei einem Duell: ›Wird sie standhalten?‹ dachte ich. Am Tage der königlichen Jagd, als ich Euch lächelnd des Königs und meinem Zorn trotzen sah, wurde mir klar, dass ich den kürzeren gezogen hatte. Im tiefsten Innern war ich stolz darauf, dass Ihr meine Frau seid.«
Er küsste sie mehrmals mit spürbarer Scheu. Da Zärtlichkeit ihm fremd war, hatte er bisher solche Gefühlsäußerungen verabscheut, nach denen ihn heute verlangte. Er zögerte, ihre Lippen zu berühren. Sie war es, die sanft die seinen suchte, und sie dachte, dass diese Kriegerlippen etwas kindlich Frisches und gleichsam Unwissendes hatten und dass sie beide dank der seltsamsten aller Fügungen, nachdem sie durch Schmutz und Unrat gegangen waren, den keuschen und zärtlichen Kuss tauschten, den sie einst in ihrer frühen Jugend im Park von Plessis versäumt hatten.
»Ich muss wieder aufbrechen«, sagte er plötzlich und fand zu seiner üblichen brüsken Art zurück. »Ich habe den Herzensangelegenheiten genügend Zeit gewidmet. Kann ich meinen Sohn sehen?«
Angélique ließ die Amme rufen, die mit dem kleinen Charles-Henri auf dem Arm erschien. In seinem Kleidchen aus weißem Samt wirkte er wie ein Falke auf der Faust des Jägers. Mit seinen blonden Locken, die unter dem Perlenhäubchen hervorquollen, seinem rosigen Teint und seinen großen blauen Augen war er ein prächtiges Kind. Philippe nahm ihn in seine Arme, hob ihn in die Luft und schwang ihn hin und her, aber er vermochte ihm kein Lächeln zu entlocken.
»Ich habe noch nie ein so ernstes Kind gesehen«, erklärte Angélique. »Er schaut jedermann offen und einschüchternd an. Aber das hindert ihn nicht, alle möglichen Dummheiten zu machen, jetzt, da er anfängt zu laufen. Neulich ertappten wir ihn dabei, wie er das Spinnrad des Stubenmädchens drehte, die Wolle war völlig verwirrt…«
Philippe reichte ihr das Kind.
»Ich überlasse ihn Euch. Ich vertraue ihn Euch an. Behütet ihn gut.«
»Dies ist der Sohn, den ihr mir geschenkt habt, Philippe. Er ist mir teuer.«
Sie beugte sich aus dem Fenster, ihr hübsches Nesthäkchen im Arm, und schaute zu, wie er sich im dunklen Hof auf
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