Angelique und der Koenig
Monsieur de Salnove wies mit dem Stiel seiner Reitpeitsche zu ihr hinüber.
»Der König hat sich am frühen Morgen selbst zu den Vorposten begeben. Er ist überzeugt, dass die Besatzung sich nicht mehr lange halten wird… Heute Nacht haben sich Seine Majestät und seine Stabsoffiziere keine Stunde Schlaf gegönnt. Gestern abend wurde ein Spion festgenommen, von dem wir erfuhren, dass die Garnison noch in der Nacht einen Ausbruchsversuch machen wollte. Tatsächlich hatten sie Anstalten getroffen, aber wir waren auf der Hut, und sie mussten sich zurückziehen. Sie werden sich bald ergeben.«
»Dafür kommt mir das Bombardement recht heftig vor«, sagte Angélique.
»Das sind die letzten Salven. Der Kommandant kann die Waffen nicht strecken, bevor er seine gesamte Munition verschossen hat. Wir können uns darauf einrichten, heute abend sieggekrönt in Dole zu soupieren…«
Der Meldereiter, den sie unten in der Ebene beobachtet hatten, tauchte in der Wegbiegung auf. Im Vorbeireiten rief er:
»Monsieur du Plessis-Bellière ist…«
Er hielt inne, als er Angélique erkannte, zog die Trense scharf an, so dass das schweißnasse Pferd sich aufbäumte, und kam zurück.
»Was gibt es? Was ist geschehen?« fragte sie erschrocken.
»Ist meinem Gatten etwas zugestoßen?«
»Was ist dem Marschall geschehen?« drängte auch Salnove. »Sprecht, Monsieur. Ist der Marschall verwundet?«
»Ja«, gab der Fähnrich atemlos Auskunft, »aber es ist nicht schlimm... Beruhigt Euch. Der König ist bei ihm... Der Herr Marschall hat sich höchst unbedacht in Gefahr begeben, und…«
Schon jagte Angélique auf ihrem Pferd den Hügelpfad hinunter. Mehr als einmal war sie in Gefahr, sich den Hals zu brechen, bevor sie den Talboden erreicht hatte. Dann gab sie dem Tier die Zügel frei und galoppierte über die Ebene.
Philippe verwundet!
Eine Stimme schrie in ihrem Innern: »Ich wusste es ja, dass es geschehen würde!« Die Stadt, die Kanonen und das Pikenstaket der in starren Karrees angeordneten Infanterie schienen auf sie zuzufliegen. Sie hatte nur Augen für die Gruppe bunter Uniformen dort drüben bei den ersten Kanonen. Als sie sich näherte, löste sich ein Reiter aus der Gruppe und galoppierte ihr entgegen. Sie erkannte Péguillin de Lauzun. Keuchend rief sie ihm zu:
»Philippe ist verwundet?«
»Ja.«
Auf ihrer Höhe angelangt, erklärte er:
»Euer Gatte hat sich auf völlig unsinnige Weise in Gefahr begeben! Als der König den Wunsch äußerte, in Erfahrung zu bringen, ob ein Scheinangriff die Übergabe der belagerten Stadt beschleunigen würde, erbot sich Monsieur du Plessis, das Gelände zu rekognoszieren. Er ritt in das Glacis, das seit dem Morgengrauen von den feindlichen Geschützen bestochen wird.«
»Und... steht es schlimm um ihn?«
»Ja.«
Jetzt erst bemerkte Angélique, dass Péguillin sich auf seinem Pferd quer vor ihr aufgepflanzt hatte, um ihr den Weg zu versperren. Eine bleierne Last senkte sich auf ihre Schultern. Ihr Herz erstarrte zu Eis.
»Er ist tot, nicht wahr?«
Péguillin nickte.
»Lasst mich vorbei«, sagte sie mit tonloser Stimme. »Ich will zu ihm.«
Der Edelmann rührte sich nicht.
»Lasst mich vorbei!« schrie Angélique. »Er ist mein Gatte! Ich habe ein Recht darauf, ihn zu sehen.«
Er drängte sein Pferd neben das ihre, legte einen Arm um sie und zog sie in einer mitleidigen Geste an sich.
»Lieber nicht, Kindchen, lieber nicht«, murmelte er. »Ach, unser schöner Marquis!... Eine Kugel hat ihm den Kopf weggerissen!«
Sie weinte. Sie weinte fassungslos, auf dem Diwan liegend, auf dem sie ihn in der vergangenen Nacht vergeblich erwartet hatte. Die steifen, törichten Trostworte ihrer Umgebung wies sie ab. Ihre Zofen, die Diener, Malbrant Schwertstreich, der Abbé de Lesdiguières, ihr Sohn standen niedergeschmettert vor dem Zelt und hörten auf ihr wildes, hemmungsloses Schluchzen. Sie konnte es nicht fassen, obwohl es nun doch schon keinen Zweifel mehr daran gab, dass dieses Verschwinden ein endgültiges war. Und es war ihr nicht einmal mehr vergönnt gewesen, mit einer mütterlichen Bewegung, nach der sie sich so sehr gesehnt hatte, seine bleiche, eisige Stirn, die nie die Zärtlichkeit kennengelernt hatte, an ihr Herz zu drücken, seine für immer geschlossenen Lider mit den langen Wimpern zu küssen und ihm ganz leise zuzuflüstern: »Ich habe dich geliebt… Du warst der erste, den ich mit der Reinheit meines jungfräulichen Herzens geliebt habe…«
Philippe! Philippe im blauen, im schneeweißen,
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