Angelique und der Koenig
goldverzierten Gewand, mit blonder Perücke, roten Absätzen. Philippe, der seine Hand auf das Haar des kleinen Cantor legte…
Philippe, den Dolch in der Faust, die würgende Hand an der Gurgel des Raubtiers…
Philippe du Plessis-Bellière, so schön, dass der König ihn Mars genannt und Gontran ihn droben an der Decke des Ecksalons von Versailles in seinem von Wölfen gezogenen Kampfwagen verewigt hatte…
Warum war er nicht mehr? Warum war er entschwunden?
»In einem Windhauch«, wie Ninon sagte. Im furchtbaren, heißen Hauch des Kriegswindes. Warum hatte er sich so der Gefahr ausgesetzt? Es fiel ihr ein, dass sich der Meldereiter und der Marquis de Lauzun fast gleichlautend ausgedrückt hatten. »Er hat sich auf unsinnige Weise in Gefahr begeben!« Sie richtete sich ein wenig auf.
»Warum, Philippe?« murmelte sie. »Warum hast du das getan?«
Der seidene Vorhang des Zelteingangs wurde zur Seite geschoben, und Monsieur de Gesvres, der Großkämmerer, verneigte sich vor ihr.
»Madame, der König möchte Euch sein Beileid und seinen tiefen Kummer zum Ausdruck bringen.«
»Ich will niemand sehen…«
»Madame, es ist der König.«
»Ich will nichts vom König wissen, nichts von der Herde watschelnder und klatschender Enten, die er hinter sich herlockt und die mich anstarren werden, schon jetzt neugierig darauf, wer die Nachfolge des Marschalls antreten wird.«
»Madame…«, stammelte er.
»Hinaus! Hinaus!«
Sie ließ sich zurücksinken und vergrub ihr Gesicht in den Kissen, wie ausgehöhlt vom Schmerz, unfähig, nachzudenken und dem Leben, das jenseits der Zeltwände weiterging, von neuem die Stirn zu bieten. Zwei Hände, die ruhig nach ihren Schultern fassten und sie sanft aufrichteten, erzeugten eine besänftigende Empfindung in ihr. Für Angélique würde es nie einen besseren Trost geben als eine kräftige und lindernde Männerschulter. Sie glaubte, es sei Lauzun, und schluchzte auf zwischen den Falten des Samtmantels, der nach Iris duftete. Endlich legte sich ihre Verzweiflung. Sie schlug ihre verweinten Augen auf und begegnete einem ernsten, liebevollen Blick.
»Ich habe meine... Begleiter draußen gelassen«, sagte der König. »Ich bitte Euch, Madame, lasst Euch nicht von Eurem Schmerz überwältigen. Ich kann es nicht mit ansehen…«
Angélique befreite sich sacht. Sie erhob sich, wich ein paar Schritte zurück und lehnte sich an einen der Zeltpfähle. Vor dem Hintergrund des golddurchwirkten Seidenstoffes, in ihrem dunklen Kleid, mit ihrem bleichen, vom Schmerz gezeichneten Gesicht erinnerte sie an eines jener alten Bilder, auf denen erstarrte Figuren zu Füßen des Kreuzes weinen. Doch ihre auf den König gehefteten Augen begannen zu funkeln und bekamen einen harten Glanz.
»Sire, ich beschwöre Euer Majestät, mir die Erlaubnis zu gewähren, mich nach Schloss Plessis zurückzuziehen.«
Der König zögerte.
»Ich gewähre sie Euch, Madame. Ich begreife Euer Bedürfnis nach Alleinsein und Zurückgezogenheit. Geht also nach Plessis. Ihr könnt bis Ende Herbst dort bleiben.«
»Sire, ich hätte mich gern auch meiner Ämter entledigt.«
Er schüttelte sanft den Kopf.
»Handelt nicht unter dem Impuls Eurer Mutlosigkeit. Die Zeit heilt gar manche Wunden. Ich werde Eure Ämter nicht vergeben.«
Angélique machte einen schwachen Versuch zu widersprechen. Aber der Glanz in ihren Augen war erloschen, und von neuem rannen die Tränen über ihre Wangen.
»Versprecht mir, dass Ihr zurückkommen werdet«, beharrte der König.
Stumm und regungslos stand sie da. Nur das Beben ihrer Kehle verriet die Schluchzer, die sie unterdrückte. Der König fand sie unerhört schön. Er hatte Angst, sie für immer zu verlieren, und er verzichtete darauf, ihr ein Versprechen zu entreißen.
»Versailles wartet auf Euch«, sagte er und ging hinaus.
Dritter Teil
Der König
Neunundzwanzigstes Kapitel
Der Reiter kam die Eichenallee herauf. Er ritt um den von der Herbstsonne vergoldeten Teich und tauchte vor der Miniaturzugbrücke wieder auf, deren Glocke er in Bewegung setzte. Hinter den kleinen, bleigefassten Fensterscheiben ihres Schlafzimmers beobachtete Angélique, wie der Mann abstieg. Sie erkannte die Livree der Dienerschaft Madame de Sévignés – ein Bote vermutlich. Einen Samtumhang über die Schultern werfend, lief sie eilends die Treppe hinunter, ohne erst abzuwarten, dass ihr eine Magd die Botschaft in aller Förmlichkeit auf silbernem Tablett überbrachte. Nachdem sie den Mann in die Küche geschickt hatte, wo er
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