Angelique und der Koenig
Tafel und schlief wenig und schlecht. Er war gleich ihr schwarz gekleidet, da er um seinen Stiefvater und seinen Bruder trauerte. Im Vorbeigehen sah sich Angélique in den hohen Wandspiegeln, eine Witwengestalt, die Hand auf der Schulter eines verwaisten Pagen, und dieser Anblick machte sie melancholisch. »Versailles wartet auf Euch«, hatte der König gesagt. Nein, niemand wartete auf sie. Schon nach wenigen Wochen hatte ein Kapitel der Hofchronik seinen Abschluss gefunden und ein neues begonnen, das im Zeichen der Montespan stand.
Angélique sah mit einem dumpfen Gefühl der Sehnsucht um sich. Ihr war, als müsse zwischen den plaudernden Gruppen, lässig in seinem Glanz, den Hut im Arm, derjenige auftauchen, der eines der Juwele dieses Hofes gewesen war, der schönste aller Edelleute, der Marquis du Plessis-Bellière, Oberjägermeister, Marschall von Frankreich…
Sie hielt sich ein wenig abseits. Florimond hatte sie verlassen, um dem grässlichen kleinen Hund Madames nachzulaufen. Die Königin erschien aus ihren Gemächern und nahm neben dem König Platz. Nach ihr setzten sich im Halbkreis die Prinzen und Prinzessinnen von Geblüt sowie die hochadligen Herren und Damen, die das Recht auf den Schemel hatten. Mademoiselle de La Vallière befand sich am einen Ende des Halbkreises, Madame de Montespan am andern. Strahlend wie immer ließ sie munter ihre weiten, blauseidenen Röcke rauschen. Die Mundschenke boten kleine Gläser mit Likör, Frangipan, Rossoli, Anisett oder dampfenden blauen, grünen und goldgelben Kräutertee an. Die Stimme des Königs ließ sich vernehmen:
»Monsieur de Gesvres«, sagte er zum Hofmarschall, »wollet die Güte haben, einen Schemel für Madame du Plessis-Bellière bringen zu lassen.«
Die Unterhaltung verstummte jäh. In einer einzigen Bewegung wandten sich alle Köpfe Angélique zu. Es schickte sich nicht für die Empfänger einer solchen Ehre, allzu große Freude oder Dankbarkeit zu bekunden. Angélique trat vor, verneigte sich und setzte sich neben Mademoiselle de La Vallière. Sie nahm von einem Tablett ein Glas Kirschwein. Ihre Hand zitterte ein wenig.
»So habt Ihr ihn also erhalten, diesen ›göttlichen‹ Schemel«, rief Madame de Sévigné Angélique schon von weitem zu und umarmte sie stürmisch. Sie war gleich anderen Gästen zur Aufführung einer Komödie Molières nach Versailles gekommen. »Alle Welt redet davon, keiner weiß sich vor Staunen zu fassen – außer mir. Ich wusste, dass Ihr nur zu erscheinen brauchtet. Was hat denn Madame de Montespan dazu gemeint?«
»Ihr fragt mich zuviel. Ich weiß es nicht.«
»Sie muss Euch einen tödlichen Blick zugeworfen haben.«
»Ich hätte Euch nicht für so boshaft gehalten«, lachte Angélique.
Sie betraten den Theatersaal. Während sie sich zwischen den kleinen vergoldeten Stühlen zu ihrem Platz durchdrängten, antwortete die Marquise: »Ich bin nicht boshaft, aber wie alle am Hofe brauche ich die Boshaftigkeit, um mich meiner Feinde – und Freunde zu erwehren.«
Am Eingang entstand Bewegung. Madame de Montespan hielt ihren Einzug.
»Schaut nur, wie sie einherschreitet«, flüsterte Madame de Sévigné. »Sieht sie nicht prächtig aus? Endlich hat Versailles eine wirklich königliche Mätresse vom Schlage der Gabrielle d’Estrées und der Diana von Poitiers. Intrigant, den Künsten ergeben, verschwenderisch, anspruchsvoll, von jener Heißblütigkeit und Liebesgier, deren die Frau bedarf, um einen Mann zu beherrschen, und sei er auch König! Unter ihrem Regiment werden wir glänzende Tage erleben.«
»Warum seid Ihr dann so sehr darauf erpicht, dass ich an ihre Stelle trete?« fragte Angélique.
Madame de Sévigné verbarg ihr Gesicht hinter dem Fächer, so dass nur noch ihre klugen, von einer plötzlichen Traurigkeit verdunkelten Augen zu sehen waren.
»Weil ich Mitleid mit dem König habe«, sagte sie. Sie schob ihren Fächer zusammen und stieß einen leisen Seufzer aus.
»Ihr habt alles, was sie besitzt, und überdies etwas, das sie nie besitzen wird. Vielleicht wird dieses Etwas Eure Stärke ausmachen... Falls es nicht Eure Schwäche ist.«
Der aufgehende Vorhang unterbrach ihre Unterhaltung. Angélique lauschte zerstreut den ersten Worten. Sie grübelte über Madame de Sévignés Worte. Mitleid mit dem König…? Das war doch eigentlich ein Gefühl, das er nicht einflößen konnte. Er selbst hatte mit niemand Mitleid. Nicht einmal mit der armen La Vallière! Angélique war tief betroffen gewesen von dem abgezehrten
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