Angelique und der Koenig
Fall eine politische Seite hat«, warf Angélique ein.
»Rakoski ist ein ausländischer Revolutionär, und…«
»Das hat nichts zu sagen. Ein Liebhaber ist in den strengen Augen der Mucker nichts als ein Liebhaber. Seine Persönlichkeit kann ihm nicht als Entschuldigung dienen... falls es nicht etwa der König ist. Und vielleicht ist es letzten Endes das, was dich so rasch aus dieser Zelle befreit.«
Angélique war zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt – wo war Rakoski? Was mochte mit ihm geschehen sein? –, um den Sinn der Worte ihrer Schwester sofort zu erfassen. Doch schon im nächsten Augenblick sah sie ungläubig auf.
»Befreit?« fragte sie zögernd. »Was soll das heißen?«
»Dass du frei bist«, erwiderte lächelnd Marie-Agnès.
»Solignac hat den Befehl des Königs gebracht, und die Priorin hat mich beauftragt, dir mitzuteilen, dass es dir freisteht, unsere gastlichen Mauern zu verlassen.«
Mit ironischer Miene ließ sie sich Angéliques stürmische Umarmung gefallen. Dann sagte sie dämpfend:
»Freu dich nicht zu früh. Meine Botschaft hat einen Pferdefuß. Monsieur de Solignac lässt dir sagen, dass du dich von Versailles fernzuhalten und in der Stille deiner vier Wände ein musterhaftes Leben zu führen hast.«
»Und was soll ich tun?«
»Wenn du mich fragst – das Gegenteil. Geh so bald wie möglich nach Versailles und verlang den König zu sprechen.«
»Aber ich setze mich seinem Zorn aus, falls diese Anweisung wirklich von ihm stammt.«
»Du kannst es dir erlauben«, sagte Marie-Agnès leichthin. »Jedermann weiß, dass der König in dich verliebt ist. Genau besehen, war sein durch die Kommentare der Choisy und Solignacs geschürter Zorn die Auswirkung seiner eigenen königlichen Eifersucht. Versetz dich nur in seine Lage. Man erzählt sich, dass du ihn mit Hoffnungen hinhältst, dass deine Tugend sogar dem Ansturm des Sonnenkönigs widersteht, und dabei gehst du mit einem bettelarmen geächteten Ausländer schlafen. Welche Enttäuschung für den König! Welche Enttäuschung für die Frömmler! Du täuschst deine Leute auf schamlose Weise. Kurz, du machst dich überall unmöglich.«
»Dein Scharfblick ist verblüffend, Marie-Agnès. Du findest mich dumm, und du hast recht. Warum habe ich dich am Hof nicht bei mir! Was willst du bei den Karmeliterinnen? Als du damals ins Kloster gingst, war ich überzeugt, es sei aus purer Laune geschehen. Aber du bleibst dabei. Und immer, wenn ich dir begegne, wundere ich mich, dich in Nonnenkleidung zu sehen.«
»Du wunderst dich?« wiederholte Marie-Agnès. Sie hob den Kopf, und das gelblich-fahle Licht der dicken Kerze, die in einer Ecke des Raumes brannte, traf ihre weit geöffneten Augen.
»Ich hatte ein Kind, erinnerst du dich, Angélique? Ich bin einmal Mutter gewesen, und dir habe ich’s zu verdanken, dass ich nicht daran starb. Aber das Kind, mein Sohn…? Ich habe es der Wahrsagerin Mauvoisin überlassen. Und gar oft denke ich an das kleine, unschuldige Wesen, das ich gebar und das die Schwarzkünstler von Paris vielleicht auf dem Altar des Teufels geopfert haben. Denn das tun sie bei ihren finsteren Messen. Ich weiß es. Die Leute bitten sie, ihnen zu Liebe, zu Macht, zu Geld zu verhelfen, zu Ehren, die sie erstreben. Und die schreckliche Prozedur wird vollzogen. Ich denke an mein Kind… Jede Nacht träume ich von ihm. Und wenn ich noch härter büßen könnte, ich würde es freudig tun…«
Angélique fröstelte, während sie die Rue de la Montagne Sainte-Geneviève hinunterging. Die Straßen von Paris waren jetzt beleuchtet. Der neue Polizeipräfekt, Monsieur de La Reynie, hatte es sich, wie es hieß, zum Ziel gesetzt, aus Paris eine saubere, helle Stadt zu machen, in der die ehrbaren Frauen auch nach Einbruch der Dunkelheit unbesorgt ausgehen könnten. In gewissen Abständen verbreiteten große, mit einem Hahn, dem Sinnbild der Wachsamkeit, gekrönte Laternen rötliches, beruhigendes Licht. Ob es Monsieur de La Reynie jedoch gelingen würde, den über der Stadt lagernden Schatten des Hasses und des Verbrechens zu beseitigen? Die Worte ihrer Schwester hatten in Angélique lähmendes Grausen ausgelöst. Sie fühlte sich von allen Seiten bedroht. Paris und Versailles erschienen ihr plötzlich als die Pforten der Hölle…
Im Hôtel du Beautreillis empfingen sie einige wenige ihr treu gebliebene Bediente. Die andern waren auf und davon gegangen. An der Verlassenheit ihres Hauses erkannte sie das Ausmaß der königlichen Ungnade, und zum ersten Mal
Weitere Kostenlose Bücher