Angelique und der Koenig
dachte sie beunruhigt an Florimond. Barbe sagte ihr, man habe nichts von dem Jungen gehört. Sie wisse nur, dass er sein Amt als Mundschenkpage in Versailles verloren habe.
»Ist das wirklich wahr?« fragte die junge Frau bestürzt. Würde man sich auch an Florimond halten? Malbrant Schwertstreich und der Abbé de Lesdiguières waren nicht wieder erschienen. Die Demoisellen de Gilandon hatten das Haus verlassen. »Das war das Beste, was sie tun konnten! Ich bin sicher, dass diese schnippischen, hochnäsigen Dinger mich angezeigt haben.«
Der kleine Charles-Henri sah seiner Mutter aus großen blauen Augen lächelnd entgegen. Sie nahm ihn auf den Schoß und drückte ihn an sich. Schon ihrer Kinder wegen durfte sie sich nicht entmutigen lassen. Sie hatte schon einmal um sie gekämpft, hatte sie mit ihren letzten Kräften vor dem Abgrund bewahrt, der aus dem Dunkel der Nächte seine eisigen Schatten bis in die Adelspaläste und Bürgerhäuser warf. Sie gab Barbe das Kind zurück. Während sie sich in ihr Zimmer begab, fühlte sie sich von einem Schauder ergriffen. Vor dem Einschlafen, schon aufgenommen in die Schwerelosigkeit des nahenden Schlummers, flüsterte sie ein wunderliches Gebet:
»O Gott, wenn das Feuer des Himmels auf diese Stadt herabfallen soll, erbarm dich meiner und meiner Kinder. Bewahre uns vor ihm und führe mich zu den grünen Weiden, wo mein Liebster meiner wartet…«
Einundvierzigstes Kapitel
Versailles erstrahlte im Glanz eines warmen, frühlingsmäßigen Apriltages, der das Schloss in jenes rosafarbene und goldene Licht tauchte, das den mit schlafenden Gewässern gesättigten Landstrichen eigen ist.
»Wie schön Versailles ist!« sagte Angélique begeistert zu sich. Ihr Lebensmut war zurückgekehrt, ihre rätselhafte Beklemmung geschwunden. Beim Anblick des Schlosses inmitten der Gärten musste man an die Milde des rächenden Gottes glauben – und an die des Königs, der dieses Wunder errichtet hatte.
Eines freilich stand fest. Monsieur de Solignac hatte nicht gelogen, als er erklärte, Angélique sei bis auf weiteres vom Hofe verbannt. Bontemps, dem sie eine Botschaft hatte zustecken können und mit dem sie sich am Teich von Clagny traf, bestätigte es.
»Ein paar Tage lang duldete Seine Majestät nicht, dass man Euren Namen nannte. Man hütet sich immer noch, ihn auszusprechen. Ihr habt den König tief gekränkt, Madame... Ja, wirklich... Ihr wisst nicht, in welchem Maße.«
»Ich bin untröstlich, Bontemps. Könnte ich nicht mit ihm sprechen?«
»Ihr seid unvernünftig, Madame. Ich sagte doch, dass er Euren Namen nicht hören will.«
»Aber wenn er mich sähe, Bontemps, wenn Ihr mir dazu verhelfen würdet, ihn zu sprechen, meint Ihr nicht, er wäre Euch... ein ganz klein wenig dankbar?«
Der Kammerdiener rieb sich nachdenklich die Nasenspitze. Er kannte die Gemütsart seines Herrn besser als dessen Beichtvater, und er wusste, wie weit er gehen konnte, ohne sein Missfallen zu erregen. Sein Entschluss war gefasst.
»Gut, Madame. Ich werde mein Bestes tun, Seine Majestät zu bestimmen, sich insgeheim mit Euch zu treffen. Wenn Ihr Euch so verhaltet, dass sie Euch verzeiht, wird sie auch mir verzeihen.«
Er empfahl ihr, in der Grotte der Thetis zu warten. Der Ort würde heute verlassen sein, da sich der gesamte Hof am großen Kanal befand, um eine Flottille von Miniatur-Galeoten (Galeoten = kleine Galeeren) einzuweihen.
»Die Barken werden in Richtung Trianon fahren, und der König kann sich absondern, ohne aufzufallen. Überdies kann er die Grotte der Thetis direkt erreichen und braucht nicht durch das Schloss zu gehen. Freilich ist es unbestimmt, wann er dort sein wird. Geduldet Euch, Madame.«
»Das werde ich. Die Grotte ist ja ein angenehmer Aufenthaltsort. Monsieur Bontemps, was Ihr heute für mich tut, werde ich Euch nie vergessen.«
Der Kammerdiener verneigte sich. Er ließ sich derlei gerne sagen und hoffte, auf die richtige Karte gesetzt zu haben. Er hatte Madame de Montespan nie ausstehen können.
Die Grotte der Thetis, eine der größten Sehenswürdigkeiten von Versailles, lag im Norden des Schlosses, in einem Felsmassiv. Angélique betrat sie durch eine der drei Gittertüren, deren vergoldete Stäbe Sonnenstrahlen darstellten und drei Halbreliefs mit dem in die Fluten tauchenden Wagen Apolls trugen, denn die Sonne ruht sich am Ende ihres Laufs bei Thetis aus.
Das Innere war ein wahrer Traumpalast. Die Pfeiler aus Tuffstein, die mit Perlmutter ausgekleideten Nischen, in denen
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