Angelique und der Koenig
Tritonen in Muscheln bliesen, wurden von in Muschelwerk eingefassten Spiegeln unzählige Male wiedergegeben, so den Anschein grenzenloser Weite erweckend.
Angélique ließ sich auf den Rand einer großen Muschel aus jaspisfarbenem Marmor nieder. Rings um sie schwangen reizende Seenymphen ihre Leuchter, deren Arme sprühende Wasserstrahlen versandten. Das Gezwitscher von Tausenden von Vögeln erfüllte die Gewölbe. Staunend entdeckte Angélique die anmutigen kleinen Geschöpfe aus Perlen und Perlmutter, die mit silbrigen Flügeln umherzuflattern schienen und durch ihren harmonischen, von hydraulischen Orgelpfeifen erzeugten Gesang Leben vortäuschten. Sie tauchte die Hand in das quellklare Wasser. Sie wollte nicht denken. Es war nutzlos, sich Sätze zurechtzulegen, die sich später als unangebracht erweisen würden. Sie verließ sich auf ihre Eingebung. Doch je länger sie wartete, desto mehr wuchs ihre Beklommenheit. Es war ja der König, mit dem sie zusammentreffen würde.
»Wenn ich mich nicht zusammennehme, bin ich verloren«, sagte sie sich. »Ich darf keine Angst haben. Die Angst fordert die Niederlage heraus... und der König hält mein Schicksal in seiner Hand.« Sie zuckte zusammen. Sie hatte auf dem Mosaikfußboden Schritte zu hören geglaubt. Aber es war niemand zu sehen. Ihr Blick kehrte zum Haupteingang zurück, der nach Westen ging und dessen Pfeiler der sich neigende Nachmittag rosig zu färben begann. Über dem Schlussstein war aus kleinen Muscheln, die wie Perlen wirkten, ein L angebracht, darüber eine mit Lilien aus Perlmutter verzierte Krone, die im Halbdunkel golden glänzte.
Angélique konnte den Blick von diesem Symbol nicht lösen, und als sie die Gegenwart eines Menschen spürte, zögerte sie, sich umzuwenden. Schließlich tat sie es langsam, und als sie den König erblickte, richtete sie sich auf, blieb regungslos stehen und vergaß sogar ihre Reverenz. Der König war durch eine der kleinen Geheimtüren der Grotte eingetreten, die zu den nördlichen Parterres führten und gelegentlich der »Empfänge bei Thetis« von der Dienerschaft benutzt wurden. Er trug ein Gewand aus amarantfarbenem Taft mit schlichten, aber durch die schönen Spitzen der Halsbinde und der Manschetten hervorgehobenen Stickereien. Sein Gesicht verhieß nichts Gutes.
»Nun, Madame«, sagte er sachlich, »fürchtet Ihr Euch nicht vor meinem Zorn? Habt Ihr nicht begriffen, was ich Euch durch Monsieur de Solignac bedeuten ließ? Wollt Ihr einen Skandal hervorrufen? Muss ich Euch vor Zeugen erklären, dass Eure Anwesenheit bei Hofe unerwünscht ist? Seid Ihr Euch bewusst, dass ich mit meiner Geduld am Ende bin? Nun antwortet…!«
Angélique hatte Mühe, seinem strengen Blick standzuhalten.
»Ich wollte Euch sprechen, Sire«, sagte sie leise. Welcher Mann hätte in solcher Umgebung dem erregenden, geheimnisvollen Reiz dieser smaragdgrünen Augen zu widerstehen vermocht? Des Königs Naturell ließ ihn nicht ungerührt bleiben. Er sah, dass die Gemütsbewegung der jungen Frau nicht geheuchelt war und dass sie an allen Gliedern bebte. Plötzlich ließ er die Maske der Strenge fallen.
»Warum... oh, warum habt Ihr das getan?« rief er in fast schmerzlichem Ton. »Dieser schmähliche Verrat…«
»Sire, ein Geächteter bat mich um Asyl. Gesteht den Frauen das Recht zu, nach ihrem Herzen zu handeln und nicht nach unmenschlichen politischen Grundsätzen. Welches Verbrechen auch immer dieser Fremde begangen haben mag, er war ein Unglücklicher, der vor Hunger umkam.«
»Ihr hättet ihn aufnehmen, ihn nähren, ihm zur Flucht verhelfen können, dagegen wäre nichts zu sagen gewesen. Aber Ihr habt ihn zu Eurem Liebhaber gemacht. Ihr habt Euch wie eine Dirne benommen…«
»Ihr gebraucht harte Ausdrücke, Sire. Ich erinnere mich, dass Euer Majestät sich vor Zeiten mir gegenüber nachsichtiger zeigte, als in Fontainebleau Monsieur de Lauzun Anlass zu einem peinlichen Vorfall mit meinem Gatten gab. Und damals trug ich größere Schuld als heute.«
»Mein Herz hat sich inzwischen gewandelt«, sagte der König. Er senkte den Kopf.
»Ich... ich will nicht, dass Ihr andern gewährt, was Ihr mir versagt.«
Er begann auf und ab zu gehen, abwesend die perlmutterglänzenden Vögel, die pausbäckigen Tritonen berührend. Mit schlichten Worten gestand er als eifersüchtiger Mann seine bitteren Gefühle, seine Enttäuschung, seine Schlappe, ja der sonst so Verschlossene ließ sich dazu hinreißen, seine Absichten zu enthüllen.
»Ich wollte mich
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