Angelique und der Koenig
meiner Juwelen auf meinen Händen und Schultern, auf dem Herzen diese tödliche Last der Einsamkeit…« In jäher Verzweiflung wandte sie sich nach ihm um, und fast wäre sie rückwärts die Treppe hinuntergestürzt. Er fing sie gerade noch auf.
»Ihr seid betrunken. Ich lasse Euch nicht weiter hinuntergehen. Ihr würdet Euch sämtliche Knochen brechen.«
Er fasste sie energisch unter dem Arm und führte sie einige Stufen wieder hinauf. Dann drängte er sie in ein Zimmer. Sie stammelte:
»Das habt Ihr verschuldet, Halunke, mit diesem üblen Gebräu, das Ihr mir zu trinken gabt.«
Desgray schlug Feuer, um zwei Kerzen anzuzünden. Er hielt den Leuchter dicht vor Angéliques Gesicht und betrachtete es neugierig. Seine Mundwinkel zuckten, als verbeiße er sich ein Lachen.
»Hübsche Sprache, Marquise«, sagte er gedämpft.
»Man beginnt sich also der Vergangenheit zu erinnern?«
Angélique schüttelte zornig den Kopf.
»Glaubt nicht, dass Ihr mich zum Reden bringt wie damals. Kein Wort werde ich sagen... kein Wort.«
Mit einer heftigen Bewegung stellte Desgray den Leuchter auf einem Tischchen ab und begann, erregt auf und ab zu gehen.
»Ich weiß es wohl, bei Gott, dass Ihr kein Wort sagen werdet... Auf der Folterbank, auf dem Rad würdet Ihr kein Wort sprechen. Aber wie kann man da etwas für Euch tun? Wie kann man Euch schützen? Während wir noch die Spuren suchen, finden und unsere Fallen stellen, seid Ihr längst ins Jenseits befördert worden. Ist es der erste Anschlag gewesen? Nein, nicht wahr?... Was ist denn? Was habt Ihr?«
»Oh, ich muss mich übergeben«, stöhnte Angélique taumelnd.
Desgray packte sie und hielt ihr die Stirn.
»Nur zu! Danach wird Euch wohler sein. Nehmt keine Rücksicht auf den Teppich.«
Es gelang ihr, sich zu beherrschen. Sie machte sich los und lehnte sich an die Wand, bleich, mit geschlossenen Augen.
»Oh, ich möchte speien!« flüsterte sie. »Ich möchte mein Leben ausspeien. Sie wollen mich töten? Nun, sollen sie doch! Dann kann ich wenigstens schlafen, ausruhen, brauch’ an nichts mehr zu denken.«
»Nichts dergleichen«, sagte Desgray. Die Muskeln unter der Haut seiner Wangen traten wie Stränge hervor, sein Gesicht bekam einen wilden Ausdruck. Er packte sie bei den Armen und schüttelte sie.
»Habt Ihr mich verstanden? Ihr werdet die Dinge nicht laufen lassen! Ihr werdet Euch zur Wehr setzen. Sonst seid Ihr verloren, das wisst Ihr genau.«
»Was kümmert mich das!«
»Ihr habt kein Recht, so zu reden. Ihr nicht. Ihr habt nicht das Recht zu sterben. Was ist aus Eurer Kraft geworden? Eurem Kampfgeist, Eurem klaren Verstand, Euerer Begierde, zu leben und zu triumphieren. Was ist aus ihnen geworden? Haben die am Hof Euch auch die genommen?«
Er schüttelte sie, als wolle er sie aus einem bösen Traum wecken, und sie ließ es geschehen, in ihr Schicksal ergeben, willenlos, mit hängendem Kopf.
Er trat ein paar Schritte zurück und betrachtete sie zornig.
»Herrgott!« fluchte er. »Das also hat man aus der Marquise der Engel gemacht! Sie haben ganze Arbeit geleistet, fürwahr, sie können stolz darauf sein. Arrogant, starrköpfig und dennoch nicht mehr Schwung als eine Schnecke.«
Desgrays Zorn umgab sie mit einem seltsamen Fluidum, das allmählich durch ihre Depression drang und ihr neuen Auftrieb brachte, ein unerklärliches frohes Gefühl, weil hinter dem harten, korrekten Beamten der alte Desgray mit seiner explosiven Verve, seinem schroffen Wesen, jenem ätzenden, unabhängigen Geist zum Vorschein kam, der allein ihm eigen war.
Von neuem ging er auf und ab, im Dunkel des Raums verschwindend, um plötzlich im Licht wieder aufzutauchen, noch immer außer sich.
»Und das?« fragte er. Er blieb vor ihr stehen und hob das Brillantkollier und die Perlenkette, die Angéliques Hals und Brust zierten. »Kann man auch nur den Kopf heben mit solchem Trödel im Nacken? Das ist hundert Livres schwer! Kein Wunder, dass man das Rückgrat beugt, dass man auf Knien kriecht, sich zu Boden wirft... Nehmt es ab. Ich will Euch nicht mehr damit sehen.«
Seine Hände legten sich auf ihren Nacken, suchten nach dem Verschluss von Kollier und Kette und schleuderten sie verächtlich auf die Kommode. Dann griff er nach ihren Handgelenken, um nacheinander die Armbänder abzunehmen und sie auf das glitzernde Häufchen der Ketten zu werfen. Die Operation dämpfte seinen Zorn und begann, ihn zu belustigen.
»Beim Ewigen Vater, dem Schutzpatron der Rotwelschen, ich komme mir vor wie ein Straßenräuber von
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