Angelique und der Koenig
unwillkürlich zu der Kleinen zurück, deren weiße Haube sich von der grünen Wand des Waldes abhob.
»Wo habe ich dieses Kind nur schon gesehen?« überlegte sie mit Missbehagen. Sie schwieg eine Weile, während die Kutsche von neuem die Richtung nach Saint-Germain einschlug. Je mehr Zeit verstrich, desto mehr wurde sie in ihrem Vorsatz bestärkt, die Gelegenheit zu nutzen, um das Mädchen für sich zu gewinnen. Plötzlich stieß sie einen kleinen Schrei aus.
»Was ist, Madame?« erkundigte sich Mademoiselle Désoeillet.
»Nichts! Nichts! Eine Nadel ist aufgegangen.«
»Darf ich Euch behilflich sein?«
»Nein, nein, bemüht Euch nicht. Es ist schon gut.«
Angélique bemühte sich, zu ihrem Gleichmut zurückzufinden. Das Gesicht der Kleinen... sie wusste nun, woher sie es kannte. Sie hatte es im Schein zweier Kerzen in jener unheilvollen Nacht gesehen. Es war die Tochter der Voisin, die, die den Korb getragen hatte.
»Kann ich Euch helfen, Madame?« beharrte das Mädchen.
»Nun, dann seid mir behilflich, den Verschluss meines Rocks zu lockern.«
Das Mädchen beeilte sich, ihr gefällig zu sein. Angélique dankte ihr lächelnd.
»Ihr seid sehr lieb. Wisst Ihr, dass ich oft Eure Geschicklichkeit beim Ankleiden Eurer Herrin bewundert habe... und Eure Geduld?«
Mademoiselle Désoeillet lächelte ihrerseits. Angélique sagte sich, dass die kleine Dirne, falls sie über die üblen Absichten ihrer Herrin orientiert war, sich über die Komplimente amüsieren musste, die sie ihr machte. Vielleicht bewahrte sie sogar in ihrem Beutel das für eben diese Madame du Plessis-Bellière bestimmte Gift auf, die sie so liebenswürdig nach Hause brachte? Das Schicksal liebte solche Scherze. Grund genug, sich ins Fäustchen zu lachen. Aber das Lachen würde ihr schon vergehen!
»Was ich an Euch am meisten bewundere«, fuhr Angélique in sanftem Ton fort, »ist Eure Geschicklichkeit beim Spiel. Ich habe Euch am vergangenen Montag beobachtet, als Ihr den Herzog von Chaulnes so glänzend schlugt. Er hat sich noch nicht davon erholt, der Arme. Wo habt Ihr denn so gut das Falschspielen gelernt?«
Mademoiselle Désoeillets Lächeln erlosch. Nun war es an ihr, um Haltung zu ringen.
»Madame, was sagt Ihr da?« stammelte sie. »Falschspielen? Ich... das ist doch unmöglich. Nie würde ich mir erlauben…«
»Nein, mit mir nicht, mein Kind«, sagte Angélique, ihrem Ton absichtlich eine vulgäre Schärfe verleihend. Sie nahm die Hand des Mädchens, drehte sie um und fuhr leicht über ihre Fingerspitzen.
»Man weiß, wozu Gliedmaßen mit so zarter Haut imstande sind. Ich habe gesehen, dass Ihr Euch eines kleinen Stückchens Walfischhaut bedientet, um die markierten Karten leichter zu fühlen, die Ihr benützt. Sie waren so unauffällig markiert, dass allein Hände wie die Euren sie wiedererkennen konnten. Die groben Finger des Herzogs von Chaulnes hätten gewiss Mühe, etwas Verdächtiges an ihnen zu finden... es sei denn, man wiese ihn darauf hin.«
Das Mädchen ließ ihre Maske fallen. Sie war nur noch eine kleine Abenteurerin von dunkler Herkunft, die ihre ehrgeizigen Träume versinken sah. Sie wusste, dass die einzigen Dinge, über die man am Hof nicht scherzte und die von tragischer Bedeutung werden konnten, die Etikette und das Spiel waren.
Der Herzog von Chaulnes, bereits über die Tatsache verärgert, dass er sich von einem Mädchen einfacher Herkunft hatte schlagen lassen und ihr tausend Livres schuldete, nähme niemals den Schimpf hin, angeführt worden zu sein. Die Schuldige würde, wenn man ihre Machenschaften enthüllte, schmählich vom Hof verjagt werden.
»Madame, Ihr habt mich beobachtet und Ihr könnt mich zugrunde richten!« jammerte Mademoiselle Désoeillet und sank auf die Knie.
»Steht auf. Was für ein Interesse sollte ich daran haben, Euch zugrunde zu richten? Ihr betrügt sehr geschickt. Man muss wissende Augen haben wie die meinen, um es zu bemerken, und ich glaube, Ihr könnt noch eine ganze Weile gewinnen... vorausgesetzt natürlich, dass ich die Augen zudrücke.«
Das Mädchen verfärbte sich.
»Madame, was kann ich für Euch tun?«
Sie hatte ihren »Mortemart«-Ton aufgegeben, und ihre Stimme verriet die vorstädtische Herkunft.
Angélique sah gelassen zum Fenster hinaus, während die Demoiselle weinend ihr Leben zu erzählen begann. Sie war die uneheliche Tochter eines Edelmannes, dessen Namen sie nicht kannte, der jedoch über eine Mittelsperson für ihre Erziehung gesorgt hatte. Ihre Mutter, zuerst Stubenmädchen,
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