Angelique und der Koenig
abreißende Geräusch ging Angélique auf die Nerven. Sie hielt sich die Ohren zu und lehnte sich tief in ihren Sitz zurück. Erst als hinter einer Biegung der Allee das breit hingelagerte Landhaus Monsieurs auftauchte, neigte sie sich vor und blickte hinaus. Hinter den hohen Fenstern huschten brennende Leuchter vorbei. Zahlreiche Kutschen standen auf dem Parterre; die Tore waren weit geöffnet. Tatsächlich, da ging etwas vor, aber es war kein Fest.
Zitternd sprang sie aus dem Wagen und lief zum Portal. Kein Page erschien, um ihr den Mantel zu halten oder sich nach ihren Wünschen zu so ungewöhnlicher Stunde zu erkundigen. Gleichwohl war der Vorsaal von Menschen erfüllt, die mit bestürzten Mienen kamen und gingen und in gedämpftem Ton miteinander sprachen. Angélique entdeckte Madame de Gordon-Huxley, die sich eilig zwischen den Gruppen hindurchdrängte.
»Was geht denn vor?« frage sie flüsternd.
Die Schottin machte eine unbestimmte, verstörte Geste.
»Madame liegt im Sterben«, erwiderte sie und verschwand hinter einer Tapetentür.
Angélique hielt einen Diener an.
»Madame liegt im Sterben? Das ist doch nicht möglich. Gestern war sie noch bei bester Gesundheit. Ich habe sie in Versailles tanzen sehen.«
»Sogar heute nachmittag noch lachte und plauderte Ihre Hoheit vergnügt«, murmelte der Diener ängstlich.
»Dann hat sie ein Glas Cichorienwasser getrunken, worauf sie sofort von Übelkeit befallen wurde.«
In einem der Boudoirs lag Madame Desbordes, eine der Kammerfrauen der Prinzessin, auf einem Kanapee. Jemand hielt ihr Riechsalz unter die Nase. Sie erholte sich eben von einem Ohnmachtsanfall.
»Das ist der sechste seit heute nachmittag«, erklärte Madame de Gamaches. »Die Arme hat das Cichorienwasser zubereitet und macht sich nun Vorwürfe, das furchtbare Unglück verschuldet zu haben.«
Madame Desbordes kam allmählich zu sich. Sie brach in hysterisches Schluchzen aus.
»Beruhigt Euch«, beschwor sie Madame de Gamaches.
»Ihr habt nicht die geringste Schuld. Bedenkt doch, wenn Ihr das Getränk auch bereitet habt, so habe ich es hinaufgetragen, und Madame de Gordon hat es ihr in ihrer eigenen Tasse gereicht.«
Draußen im Gang sprach Mademoiselle de Montpensier erregt auf Monsieur ein, der eben aus Madames Räumen gekommen war.
»Herr Vetter, Ihr müsst daran denken, dass Madame im Sterben liegt und ihr priesterlichen Beistand verschaffen.«
»Sie hat ja ihren Beichtvater bei sich«, meinte Philippe von Orléans gelassen. Gelangweilt zog er den Knoten seiner Halsbinde zurecht. Von allen Anwesenden war er ganz offensichtlich am wenigsten beeindruckt. Allenfalls schien ihn die Einmischung der Grande Mademoiselle zu verdrießen, deren energische Art ihn zum Zuhören zwang. Sie zuckte wütend die Achseln.
»Ihr Beichtvater! Ich wäre in schöner Verlegenheit, wenn ich mit einer solchen Null vor Gott treten müsste. Ihr wisst genausogut wie ich, dass dieser Kapuziner sich nur durch einen der schönsten Bärte des Königreichs auszeichnet. Mehr hat er nicht zu bieten... Aber wenn man stirbt... Habt Ihr einmal darüber nachgedacht, was es bedeutet, zu sterben, Herr Vetter?«
Monsieur betrachtete seine Fingernägel und seufzte ungeduldig.
»Nun, so wisst, dass dieses Los auch Euch bestimmt ist«, rief die Grande Mademoiselle schluchzend aus, »und dann wird’s höchste Zeit sein, Euch die Nägel zu pflegen. Ach, Liebste!« fuhr sie fort, da sie Angélique erblickte. Mit einer Geste der Verzweiflung zog sie sie an sich und ließ sich auf eine Bank sinken.
»Wenn Ihr wüsstet, was für ein trauriger Anblick das ist, all diese Leute, die bei Madame ein und aus gehen, schwatzend und spektakelnd, als warteten sie auf den Beginn einer Komödienvorstellung. Und dazu dieser Beichtvater, der nur seinen Bart zu streicheln und albernes Zeug zu reden versteht…«
»Beruhigt Euch, Kusine«, sagte Philippe von Orléans versöhnlich. »Lasst sehen. Wer wäre wohl würdig, in den Gazetten als Beistand von Madame in ihrer letzten Stunde genannt zu werden…«
Eine der Hofdamen empfahl den Pater Feuillet, einen Domherrn von Saint-Cloud, dessen Verdienste bekannt seien.
»Sein übler Charakter auch«, gab der Bruder des Königs kühl zurück. »Ruft ihn immerhin, wenn es Euch gut dünkt. Ich jedenfalls gehe. Im übrigen habe ich bereits von Madame Abschied genommen.«
Er drehte sich auf seinen hohen Absätzen herum und schritt mit seinem Gefolge der Treppe zu. Florimond, der sich darunter befand, blieb für einen Moment
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