Angelique und der Koenig
Feuillets befleißigte man sich eines der Situation angemessenen Benehmens. Man flüsterte nur noch. Der Priester trat stumm vom Bett zurück, um Angélique Platz zu machen.
Madame hatte sich in der kurzen Zeit, seitdem sie sie zum letzten Mal gesehen hatte, so völlig verändert, dass sie kaum wiederzuerkennen war. Ihr Gesicht wirkte wächsern, und ihr Körper schien innerhalb weniger Stunden zum Skelett abgemagert zu sein. Ihre Backenknochen sprangen vor, ihre Nase war spitz. Tiefe Ringe umgaben die durch unsagbare Qualen vergrößerten Augen.
»Madame«, sagte Angélique leise, »wie Ihr leidet! Welch ein Jammer, Euch so leiden zu sehen!«
»Es ist gütig von Euch, mir das zu sagen. Jedermann erklärt mir, dass ich meinen Zustand übertreibe. Gleichwohl, wäre ich nicht Christin, ich würde mir das Leben nehmen, so unerträglich sind meine Schmerzen.«
Mühsam Atem holend, fuhr sie fort: »Aber es ist gut, dass ich leide, sonst hätte ich Gott nichts anderes vorzuweisen als ein recht nichtiges Leben. Madame du Plessis, ich bin froh, dass Ihr gekommen seid. Ich habe nicht vergessen, dass Ihr mir einen großen Dienst erwiesen habt und dass ich in Eurer Schuld stehe.«
Sie forderte Monsieur de Montaigu, den englischen Botschafter, durch ein Zeichen auf, zu ihr zu treten. Dem Gespräch, das die Prinzessin in englischer Sprache mit ihm führte, glaubte Angélique entnehmen zu können, dass der Botschafter beauftragt wurde, ihr nach Madames Tode die dreitausend Pistolen zurückzugeben, die sie ihr schuldete. Der Engländer war zutiefst bestürzt, denn er wusste, wie verzweifelt sein königlicher Herr sein würde, wenn er den Tod seiner Schwester, seiner kleinen Ninette, erführe, die er immer zärtlich geliebt hatte. Offenbar fragte er die Sterbende, ob sie nicht eine verbrecherische Absicht vermute, denn das Wort Gift war zu vernehmen, das in beiden Sprachen ähnlich klingt.
Pater Feuillet mischte sich mahnend ein: »Madame, beschuldigt niemand und bringt Gott Euer Leben als Opfer dar.«
Die Prinzessin nickte leise. Eine Weile lag sie regungslos mit geschlossenen Augen. Angélique wollte sich zurückziehen, doch die eisige Hand Henriettes von England hielt die ihre mit kaum spürbarem Druck noch immer fest, und sie wagte nicht, sich ihr zu entziehen.
Madame schlug die Augen von neuem auf. Ihr Blau wirkte verwaschen, aber sie fixierten Angéliques blasses Gesicht mit eindringlicher, wacher Aufmerksamkeit.
»Der König ist gekommen«, sagte sie. »Er war von der Königin, von Madame de Soissons, Mademoiselle de La Vallière und Madame de Montespan begleitet…«
»Ich weiß.«
Madame verstummte. Ihre Augen hielten die Angéliques noch immer fest, und Angélique musste plötzlich daran denken, dass Madame den König geliebt hatte. Der Flirt war so weit gegangen, dass die beiden Komplicen, um den Verdacht der damals noch lebenden Königin-Mutter abzulenken, auf den Einfall gekommen waren, eine der Hofdamen Madames als schützenden Wandschirm zu benützen. Diese Hofdame war Louise de La Vallière gewesen. Jedermann kannte den weiteren Verlauf. Die hochmütige Prinzessin war von der schlichten Gesellschaft entthront worden. Allzu stolz, hatte sie nur insgeheim und in den Armen ihrer besten Freundin, der Montespan, geweint – die nun ihrerseits den Platz an der Seite des Königs eingenommen hatte. In diesen letzten Stunden ihres Lebens hatte sie den König, seine Frau und seine drei Mätressen, die gewesenen und die zukünftige, an ihrem Bett gesehen, in einer seltsamen Zusammenfassung ihres zu demütigendem Scheitern verurteilten ehrgeizigen Liebestraums.
»Ich weiß«, sagte Angélique abermals leise. Und sie lächelte ihr schmerzlich zu. Madame hatte nicht nur gute Eigenschaften gehabt. Aber sie war nie kleinlich und böse gewesen, und sie hatte sich stets freundlich, tatkräftig und klug gezeigt. Allzu klug. Nun, da sie starb, war sie von Feinden und Gleichgültigen umgeben.
Henriettens Blick verschleierte sich. Mit kaum vernehmbarer Stimme sagte sie: »Ich wünschte um seinetwillen, dass er Euch liebte… Euch... weil…«
Sie konnte nicht vollenden und machte eine müde Bewegung. Ihre Hand fiel kraftlos auf die Decke zurück.
Angélique verließ das Zimmer. Auf der Bank im Vorsaal begann sie, Gebete murmelnd, von neuem zu warten.
Gegen zwei Uhr morgens schwirrte Florimond wie eine Schwalbe herein, ließ sich neben ihr nieder und teilte ihr flüsternd mit, Madame liege in den letzten Zügen. Bald darauf hastete Madame
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