Angelique und der Koenig
sehn…«
Der Abbé stürzte herzu und erklärte, die Laute sei verstimmt. Während er an den Stimmschlüsseln des Instruments drehte, sprach er leise auf seinen Zögling ein, der alsbald mit feinstem Anstand ein anderes Lied anstimmte. Der Zwischenfall wurde kaum bemerkt, am wenigsten von der Königin, die als Spanierin von französischen Volksliedern keine Ahnung hatte.
Angélique erinnerte sich von ungefähr, dass das erste, im vergangenen Jahrhundert verfasste Lied von den illegitimen Liebschaften des Königs Heinrich IV. handelte, und sie war dem Abbé dankbar, dass er den Fehlgriff rechtzeitig korrigiert hatte. Sie beschloss bei sich, Madame de Choisy unbedingt noch einmal für die treffliche Auswahl unter deren Rekruten zu danken.
Cantors Stimme ließ sich nur mit der eines Engels vergleichen. Sie war von unsagbarer Reinheit und dennoch kräftig und sicher geführt. Sie war klar und kristallhell, doch fehlte ihr die leicht unbeholfen wirkende Ausdruckslosigkeit der Kinderstimmen. Die Damen, die sich vorgenommen hatten, dem Wunderkind höflich zuzuhören, gerieten bald außer sich vor Entzücken. Florimond, der anfangs alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, trat in den Hintergrund. Man lobte das gesunde Aussehen des kleinen Sängers, der zwar weniger hübsch war als sein Bruder, dessen Augen jedoch eine ungewöhnliche Tönung hatten und aufglänzten, wenn er sang. Monsieur de Vivonne war am begeistertsten von allen, und seinen überschwenglichen Komplimenten lag keineswegs die Absicht zugrunde, Angélique zu schmeicheln. Wie so manche Lebemänner am Hofe besaß er einige heimliche Talente, von denen er als Amateur und sozusagen nur zum Zeitvertreib Gebrauch machte. Vivonne, der Bruder Madame de Montespans, war Kapitän der Galeeren und Generalleutnant zur See, aber nebenbei dichtete und komponierte er und spielte mehrere Instrumente. Wiederholt hatte man ihm das Arrangement der Hofballette anvertraut, und auch auf diesem Gebiet hatte er Vorzügliches geleistet. Nun forderte er Cantor auf, einige seiner Liedchen zu interpretieren, und wählte dafür die am wenigsten schlüpfrigen aus. Man bekam sogar eine kleine Arie für die Weihnachtsmesse zu hören, die von reizender Anmut war und die ganze Versammlung entzückte. Die Königin verlangte, Monsieur Lulli auf der Stelle zu holen. Der Oberintendant der Hofmusik probte mit seinen Choristen eben in der Kapelle. Er fand sich unwillig ein, aber sein brummiges, gerötetes Gesicht leuchtete allmählich auf, während er dem Knaben zuhörte. Eine solch edle Stimme sei selten, erklärte er danach und wollte nicht glauben, dass Cantor noch nicht einmal acht Jahre alt sei; er habe einen Brustkasten wie ein Elfjähriger. Freilich meldete der Musiker auch seine Bedenken an: die Karriere des kleinen Phänomens könne notwendigerweise nur kurz sein, da seine Stimme zu denen gehöre, die der Stimmwechsel mit ziemlicher Sicherheit zerstöre. Wofern man aus ihr nicht eine Kastratenstimme mache, indem man den Knaben im Alter von zehn oder elf Jahren seiner Mannbarkeit beraube. Solche Stimmen seien überaus gesucht. Die jungen Epheben mit den bartlosen Gesichtern seien die Zierde der fürstlichen Kapellen Europas. Man suche sie sich hauptsächlich unter den Söhnen armer Musiker oder Komödianten aus, die ihren Kindern unter Verzicht auf ein normales, aber der Mittelmäßigkeit geweihtes Leben eine einträgliche Karriere zu sichern suchten.
Angélique protestierte entrüstet. Ihren kraftstrotzenden kleinen Cantor entmannen! Nicht auszudenken! Gottlob war er ein Edelmann, und sein Lebensweg würde nicht durch den Verlust seiner natürlichen Gaben beeinträchtigt werden. Er würde lernen, den Degen im Dienste des Königs zu führen, und eine zahlreiche Nachkommenschaft zeugen. Danach kam man überein, dass Florimond und Cantor, sobald der Dauphin in männliche Hände käme, den Edelleuten seines Gefolges zugeteilt werden und ihn auf die Reitbahn, ins Ballhaus und sehr bald auch auf die Jagd begleiten sollten.
Vierzehntes Kapitel
Es war jetzt die Jahreszeit, da Paris beim Klang der Violinen und bei ausgelassenem Gelächter allmählich erwachte. Verstimmt stellte Angélique fest, dass ihr jeder Auftrieb fehlte. Das Kind, das sie unter dem Herzen trug, machte sie in zunehmendem Maße schwerfällig. Wieder einmal war Philippe die Ursache, dass sie bald gezwungen sein würde, sich von der Welt abzusondern. Dazu kam, dass es ihr noch immer nicht gelungen war, eine Stellung bei
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