Angelique und der Koenig
Vasen Wasserkaskaden verströmten. Der König verhielt seinen Schritt, um seinem Wohlgefallen an diesem Anblick Ausdruck zu geben, dann betrat er den von unzähligen an silbernen Gazeschleiern oder Blumengirlanden hängenden Kronleuchtern erhellten Saal aus Tausendundeiner Nacht. Zwischen den Türen rahmten jeweils zwei große Leuchter einen Springbrunnen ein, dessen Wasser sich in mehrere übereinander angeordnete Schalen und schließlich in ein großes Bassin ergoss. In der Mitte des Saals erhob sich das seine Flügel ausbreitende Pferd Pegasus; mit dem Huf schlug es an einen hohen Felsen und ließ aus ihm die Fontäne der Hippokrene hervorschießen. Über dem Fabeltier, zwischen Laub und Zucker, Sträuchern mit kandierten Früchten, Kräutern aus Kuchen und Kandis, Teichen aus Obstsäften hielten Apoll und die Musen Rat und schienen der kreisförmig um den Pegasusfelsen aufgestellten, blumengeschmückten königlichen Tafel zu präsidieren.
Der Augenblick des Grand Soupers war gekommen. Der König nahm Platz, und die Damen, die er sich zur Gesellschaft erwählt hatte, bildeten einen leuchtenden Kranz um ihn. Angélique fand sich zwischen Mademoiselle de Scudéry und einer jungen Frau, die sie ein paar Mal anschauen musste, um sich zu überzeugen, dass sie wirklich neben ihr saß.
»Françoise! Ihr hier!«
Madame Scarron lächelte strahlend.
»Ja, meine Liebe! Ich gestehe, dass es mir fast ebenso unwahrscheinlich vorkommt wie Euch, und ich kann an mein Glück kaum glauben, wenn ich daran denke, in welch kläglichen Verhältnissen ich mich noch vor einem Monat befand. Wusstet Ihr, dass ich beinahe nach Portugal gegangen wäre?«
»Nein, aber ich habe sagen hören, dass Monsieur de Cormeil Euch heiraten wollte.«
»Ach, sprecht mir nicht von dieser Geschichte! Weil ich seinen Antrag ablehnte, habe ich die Unterstützung fast aller meiner Freunde verloren.«
»Monsieur de Cormeil ist doch sehr reich? Ihr hättet ein bequemes Leben gehabt und wärt Eurer ewigen Sorgen ledig gewesen.«
»Aber er ist alt und zudem ein Wüstling. Das habe ich denen gesagt, die mir so dringend zuredeten. Sie waren verwundert und verschnupft, weil sie fanden, meine Situation erlaube mir nicht, Ansprüche zu stellen. Nur Ninon hat mir recht gegeben!«
Sie sprach, wenn auch nur halblaut, mit jener Leidenschaftlichkeit, zu der sie sich gelegentlich hinreißen ließ, wenn sie zuversichtlich war. Und Angélique empfand von neuem den Reiz ihrer klaren Persönlichkeit. Durch ihr schlichtes Äußeres stach sie ein wenig von ihrer Umgebung ab, doch ihr geschmackvoll gewähltes rotbraunes Samtkleid, ihre doppelte Halskette aus Gagat und kleinen Rubinen passten zu ihrem brünetten Typ. Sie erzählte, dass sie in ihrer äußersten Not schließlich eingewilligt habe, als dritte Hofdame, fast als Zofe die Prinzessin von Nemours zu begleiten, die im Begriff stand, den König von Portugal zu ehelichen. Bei einem ihrer Abschiedsbesuche habe sie Madame de Montespan wiedergesehen und ihr ihre verzweifelte Lage geschildert. Madame de Montespan sei so liebenswürdig gewesen, sich daraufhin für sie zu verwenden, und nun habe ihr der König aufs neue eine Rente bewilligt.
»Und... da bin ich nun in Versailles!«
Angélique versicherte ihr mit herzlichen Worten, dass auch sie sich aufrichtig darüber freue. In diesem Augenblick ging Madame de Montespan hinter ihnen vorbei und legte die Hand auf die Schulter ihres Schützlings.
»Nun? Zufrieden?«
»Ach, liebste Athénaïs, mein Leben lang werde ich Euch dankbar sein!«
In einem Meer von Blumen und Laub eröffnete der König mit Madame und den Prinzessinnen den Ball. Danach traten die edlen Damen und Herren vor und entfalteten in verwickelten Figuren die Pracht ihrer Kleidung. Die alten Tänze waren vom munteren, frivolen Rhythmus der Farandole durchpulst gewesen. Die neuen verblüfften durch ihre fast priesterliche Gemessenheit. Sie waren sehr viel schwieriger zu tanzen, alles lag im Setzen des Fußes und in den abgezirkelten Gesten der Arme und Hände. In unaufhaltsamer, genau festgelegter, fast mechanischer und wie von einem Uhrwerk geregelter Bewegung folgten die Tanzenden gleich lebenden Automaten einer scheinbar heiteren Choreographie, die sich jedoch, ausgehend von der Musik, nach und nach mit einer vagen, geheimen Spannung füllte. Es lag sehr viel mehr verhaltenes Begehren in dem gelassenen Aufeinanderzu, dem flüchtigen Berühren der Hände, den gemessenen und immer unvollendeten Gesten des
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