Angelique und der Koenig
suchte zu erraten, was das Dunkel verbarg und welche neue Bedeutung dieses Schweigen haben mochte. Er spürte ihren leichten Atem an seiner Wange, erzitterte, und in einer jähen, ungewohnten seelischen Erschütterung drängte er sich an sie, schwach wie ein Kind. Er fluchte ein paar Mal, um sich Haltung zu geben. Als er sich von ihr löste, wusste er nicht, dass er nahe daran gewesen war, sie an den Rand der Lust zu führen. Verstohlen belauerte er sie im Halbdunkel, vermutend, dass sie ihre Kleidung ordnete, und jede ihrer Bewegungen wehte ihm ihren warmen weiblichen Duft zu. Ihre Ergebenheit kam ihm verdächtig vor.
»Meine Huldigung missfällt Euch sehr, wie mir schien. Aber seid Euch bewusst, dass ich sie Euch als Bestrafung darbringe.«
Sie ließ einen Augenblick verstreichen, bevor sie mit sanfter, verschleierter Stimme antwortete: »Es könnte eine Belohnung sein.«
Philippe sprang auf wie vor einer unversehens auftauchenden Gefahr. Er fühlte sich ungewohnt schwach. Am liebsten hätte er sich von neuem neben Angélique im warmen Heu ausgestreckt, um ganz still und vertraulich mit ihr zu plaudern: eine ungekannte Versuchung, die ihn unwillig machte. Doch die Worte der Abwehr erstarben auf seinen Lippen. Mit leerem Kopf verließ der Marschall du Plessis die Scheune – im deprimierenden Gefühl, dass ihm auch diesmal nicht das letzte Wort geblieben war.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Ein heißer Julinachmittag lastete über Versailles. Um Kühlung zu finden, hatte Angélique in Gesellschaft der Damen de Ludre und de Choisy einen Spaziergang durch die Wasserpergola unternommen. Im Schatten ihrer Bäume und unter den Wasserstrahlen, die zu beiden Seiten hinter einem Rasenstreifen hervorschossen und sich zu glitzernden Bögen vereinigten, so dass ein luftiges, sprühendes Gewölbe entstand, ging es sich überaus angenehm. Die Damen begegneten Monsieur de Vivonne, der sie höflich grüßte und sich dann an Angélique wandte: »Ich hatte ohnehin vor, mit Euch zu reden, Madame. Um es kurz zu machen: ich möchte Euren Sohn Cantor in meine Dienste nehmen.«
»Cantor! Wie kann Euch ein so kleiner Junge von Nutzen sein?«
Lächelnd erwiderte Monsieur de Vivonne: »Warum möchte man einen melodischen Vogel neben sich haben? Dieser Knabe hat mich bezaubert. Er besitzt eine wundervolle Stimme und spielt mehrere Instrumente wahrhaft vollendet. Ich möchte ihn auf meine Expedition mitnehmen, um auch weiterhin Verse dichten und seine Engelsstimme nutzen zu können.«
»Eure Expedition?« fragte Angélique.
»Wisst Ihr nicht, dass mich der König zum Flottenadmiral ernannt hat und gegen die Türken schickt, die Kandia im Mittelmeer belagern?« erwiderte Monsieur de Vivonne.
»So weit!« rief Angélique betroffen aus. »Cantor ist doch noch viel zu jung. Wollt Ihr aus einem achtjährigen Knaben einen Helden machen?«
»Er wirkt wie elf und würde sich zwischen meinen Pagen nicht verloren fühlen. Mein Haushofmeister ist ein Mann gesetzten Alters und selbst Vater zahlreicher Kinder. Ich werde ihm Euren Knirps ganz besonders ans Herz legen. Und im übrigen, Madame, habt Ihr nicht Beziehungen zur Insel Kreta? Ihr seid es Euch schuldig, einen Eurer Söhne dorthin zu schicken, um nach dem Rechten sehen zu lassen.«
Obwohl Angélique entschlossen war, Monsieur de Vivonnes Vorschlag abzulehnen, erklärte sie, es sich überlegen zu wollen. Plaudernd kehrten die drei Damen durch die große Allee zum Schloss zurück, ständig genötigt, Arbeitern und Lakaien auszuweichen, die, mit Leitern bewaffnet, an den Bäumen und entlang der Hagebuchenhecken Lampions aufhängten. Aus den Lustwäldchen drang das Stakkato hastiger Hammerschläge herüber. Der Park rüstete sich zum Fest. Der König wollte seinen Triumph auf dem Gebiet der Waffen feiern. Die glorreiche Eroberung Flanderns, der Blitzfeldzug in der Franche-Comté hatten ihre Früchte gezeitigt. Das überraschte Europa richtete seine Blicke auf den jungen Monarchen, der für alle Welt allzu lange der kleine, von den Seinen verratene König gewesen war. Von seinem Prunk hatte man bereits reden hören. Nun entdeckte man den wagemutigen Eroberer und listenreichen Machiavellisten in ihm. Gleich dröhnenden Gongschlägen sollten rauschende Feste, deren Glanz über die Grenzen seines Landes hinausleuchten würde, die reiche Orchestrierung seines Ruhmes ergänzen.
Als Angélique in türkisblauem, diamantenübersätem Kleide in der Galerie erschien, trat eben der König aus seinen Gemächern.
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