Angelique und der Koenig
Menschen, die hier versammelt leben, sind schrecklich, mein Kind. Das müsst Ihr wissen. Ich halte sie unter meiner Fuchtel, denn ich weiß zu genau, welcher Unbotmäßigkeit, welcher mörderischen Tollheit sie fähig sind. Jeder, dem eine Stadt, eine Provinz gehört, ist bereit, sich zum Unglück meines Volks gegen mich zu erheben. Deshalb will ich sie unter meiner Aufsicht haben. Hier, an meinem Hof, in Versailles, sind sie ungefährlich. Keiner von ihnen wird sich vergessen. Aber neben Raubtieren lebt man nicht, ohne Schaden zu nehmen. Man muss Haare auf den Zähnen haben, um zu bestehen. Ihr seid aus anderem Stoff geschaffen, mein hübsches Bagatellchen.«
Sie fragte so leise, dass er sich über sie beugen musste, um zu verstehen:
»Will Euer Majestät mir bedeuten, dass mein Platz nicht bei Hofe ist?«
»Gewiss nicht. Ich möchte Euch hier haben. Ihr seid eines seiner schönsten Kleinode. Euer Geschmack, Eure Anmut, Euer feiner Anstand haben mich bezaubert. Und ich habe Euch gesagt, wie gut ich über Eure geschäftlichen Angelegenheiten denke. Ich möchte nur, dass Ihr den Raubtieren entgeht.«
»Ich bin Schlimmerem entgangen«, sagte Angélique.
Sanft legte der König die Hand auf ihre Stirn, um sie zu veranlassen, den Kopf zurückzubeugen und ihr Gesicht im Mondlicht zu zeigen. Zwischen dunklen Wimpern schimmerten Angéliques grüne Augen wie eine Quelle, die ihr Geheimnis in den Gründen des Waldes bewahrt. Der König neigte sich über sie und heftete fast scheu seinen Mund auf diese jungen Lippen, die plötzlich von einem bitteren Zug gezeichnet wurden. Er wollte sie nicht erschrecken, aber bald war er nur noch begehrender Mann, bezwungen von seinem Verlangen und von der Berührung dieses weichen Mundes, der, zuerst verschlossen und widerspenstig, sich belebte und sich als wissend offenbarte.
»Aber... das ist ja eine erfahrene Frau«, durchzuckte es ihn. Neugierig gemacht, betrachtete er sie mit anderen Augen.
»Ich liebe Eure Lippen«, sagte er. »Sie lassen sich mit keinen anderen vergleichen. Frauenlippen und Jungmädchenlippen zugleich... frisch und heiß.«
Er versuchte keine weitere Liebkosung mehr. Und als sie sich sacht von ihm löste, hielt er sie nicht fest. Sie blieben, ein paar Schritte voneinander entfernt, unschlüssig stehen. Plötzlich ließ eine Reihe gedämpfter Detonationen das Laub des Parks erzittern.
»Die Herren Feuerwerker lassen ihre Raketen los. Wir dürfen dieses Schauspiel nicht versäumen. Kehren wir um«, sagte der König widerwillig. Schweigend traten sie den Rückweg zum Ballsaal an. Der von den dumpfen Explosionen des Feuerwerks unterbrochene Lärm der Menge rollte ihnen entgegen wie das Geräusch des Meeres. Die Helligkeit nahm zu, als sie langsam ein Jasmingebüsch umschritten. Der König ergriff Angéliques Hand und trat einen Schritt zurück, um die junge Frau zu betrachten.
»Ich habe Euch noch nicht zu Eurem Kleid beglückwünscht. Es ist ein wahres Wunder, dem nur Eure Schönheit gleichkommt.«
»Ich danke Euer Majestät.«
Angélique versank in ihre Reverenz. Der König verneigte sich und küsste ihre Hand.
»Also…? Sind wir wieder Freunde?«
»Vielleicht.«
»Ich wage es zu hoffen…«
Erregt und verstört entfernte sich Angélique, geblendet von den jäh aufblitzenden, vielfarbigen Lichtern. Das dunkle Schloss im Hintergrund schien wie mit feurigem Geschmeide geschmückt. Die Zuschauer stießen erschreckte Rufe der Bewunderung aus. Im Rahmen des Portals brannte ein Januskopf mit doppeltem Gesicht. Die Fenster des Erdgeschosses trugen leuchtende Kriegstrophäen, die des ersten Stocks die feurigen Bilder der Tugenden. Am Dachfirst versandte eine riesige Sonne ihre Strahlen. Unten, auf gleicher Höhe mit dem Erdboden, schien das Gebäude von einer glühenden Balustrade umgeben. Die Karosse des Königs fuhr vorbei, von sechs lebhaften Pferden gezogen, an deren vordersten fackeltragende Reiter saßen. Die Königin, Madame, Monsieur, Mademoiselle de Montpensier und der Fürst Condé hatten in ihr Platz genommen. Sie machte vor dem Bassin der Latona halt, das einem Feuersee glich, in dem Fabelwesen sich unter einem schillernden Gewölbe einander überkreuzender Garben bewegten. Schweigend betrachtete der König eine Weile das Spiel der Lichter. Hinter den Kutschen erfüllte die herbeigeeilte Menge die Nacht mit fröhlichen Rufen. Schließlich wendeten die Wagen und schlugen die große, von Thermensäulen gesäumte Allee ein. Und plötzlich schossen zwischen diesen
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