Angels - Meine Rache waehrt ewig
Jahren viel zu viel gearbeitet hatte. Außerdem hatte sie ihren Wunsch, über wahre Kriminalfälle zu schreiben, noch nicht aufgegeben. Sie musste nur auf die richtige Story stoßen, dann würde sie vielleicht die nächste Ann Rule werden.
Es dämmerte, und die ersten Regentropfen fielen, als sie mit eingezogenem Kopf, den Rucksack über eine Schulter geworfen, den Campus überquerte. Es war der Tag vor Silvester. Eine eisige Böe fegte um die Ecken, rüttelte an den Zweigen der Eichen und Kiefern und streifte Kristis Nacken mit einem frostigen Kuss. Sie schauderte. Der Temperatursturz hatte sie überrascht. Sie war müde vom Umzug, und ihre Beine fühlten sich an wie Blei. Kristi bog um die Ecke hinter Cramer Hall, wo sie während ihres ersten College-Jahrs vor beinahe zehn Jahren gewohnt hatte. Das Gebäude hatte sich nicht sonderlich verändert, bestimmt nicht so sehr wie sie selbst …
Plötzlich glaubte sie, aus dem Augenwinkel eine Bewegung, einen dunklen Schatten in der dichten Hecke unweit der Bibliothek wahrzunehmen. Die Gaslaternen schimmerten bläulich und verbreiteten ein diffuses Licht. Kristi entdeckte niemanden. Offenbar hatte ihr ihre überaktive Fantasie einen Streich gespielt.
Doch konnte man ihr deswegen einen Vorwurf machen? Logisch, dass sie nervös war, wenn man daran dachte, was sie in den Händen dieser unmenschlichen Psychopathen erlebt hatte, an die Warnungen ihres Vaters und an die Bemerkungen ihrer Vermieterin. »Du musst drüber hinwegkommen«, ermahnte sie sich, als sie am Wagner House vorbeikam, einem großen Klinkerbau mit hohen dunklen Fenstern und schwarzen Eisengittern davor. Heute Abend sah das stattliche alte Haus unheilverkündend aus, sogar bedrohlich.
Und du glaubst also, du könntest True Crime schreiben? Tatsachenberichte? Wie wär’s mit erfundenen Geschichten? Vielleicht Horror? Oder irgendetwas, das deiner gruseligen Fantasie entspricht. Mein Gott, Kristi, reiß dich zusammen!
Als sie ihr Tempo wegen des stärker werdenden Regens beschleunigte, hörte sie Schritte auf dem Weg hinter sich. Sie warf einen verstohlenen Blick über die Schulter, sah jedoch abermals niemanden. Nichts. Die Schritte waren nicht mehr zu hören. Es war, als würde ihr jemand folgen, der nicht entdeckt werden wollte.
Ihr Magen zog sich zusammen, und sie dachte an das Pfefferspray in ihrem Rucksack. Wenn sie die Wahl hätte zwischen Pfefferspray und ihren Fähigkeiten in Selbstverteidigung …
Du lieber Himmel, hör auf damit!
Sie setzte sich wieder in Bewegung. Angespannt lauschte sie auf ein Scharren, auf ein Geräusch wie schweres Atmen, falls Wer-auch-immer-es-sein-mochte die Verfolgung wieder aufnahm, aber alles, was sie hörte, war die lebhafte Straße, das Quietschen von Rädern auf nassem Asphalt, das Dröhnen der Motoren und ein gelegentliches Kreischen von Bremsen oder Getrieben. Nichts Unheimliches. Nichts Bedrohliches. Doch obwohl sie sich innerlich dafür schalt, hörte ihr Herz nicht auf, heftig zu klopfen, und sie öffnete den Reißverschluss ihres Lederrucksacks. Unmittelbar darauf hielt sie das Pfefferspray in der Hand.
Wieder warf sie einen Blick über die Schulter.
Wieder sah sie nichts.
Sie rannte fast, als sie sich dem Campustor näherte, das ihrem Apartment am nächsten lag. Sie hatte soeben die Straße erreicht, als ihr Handy klingelte. Leise fluchend griff sie in die Manteltasche. Auf dem Display blinkte der Name ihres Vaters. Plötzlich dankbar, dass er anrief, ging sie dran. »Hey, arbeitest du nicht?«
»Sogar Cops machen ab und zu eine Pause.«
»Und da hast du dir überlegt, in deiner Pause einen Kontrollanruf bei mir zu machen.«
»Du hast mich angerufen«, erinnerte Rick Bentz seine Tochter.
»O ja, stimmt …« Das hatte sie ganz vergessen. Ein weiterer kleiner Hinweis darauf, dass sie noch nicht wieder hundertprozentig auf dem Damm war – ihr verdammtes Gedächtnis. Immer wieder kam es vor, dass sie irgendetwas Wichtiges völlig vergaß. »Ich wollte dir meine neue Adresse mitteilen und erzählen, dass ich einen Job im Bard’s Board habe. Das ist ein Diner, und alle Gerichte sind nach Charakteren von Shakespeare benannt. Du weißt schon, Jagos eisgekühlte Latte, Romeos Reuben-Sandwich und Lady Macbeths Finger. Ich glaube, es gehört zwei ehemaligen Englischlehrern. Jedenfalls muss ich die Gerichte bis Montagmorgen auswendig lernen, dann fange ich an. Ich hoffe, es wird meinem Gedächtnis wieder ein wenig auf die Sprünge helfen.«
»Jagos
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