Angels - Meine Rache waehrt ewig
eisgekühlte Latte klingt obszön.«
»Nur in deinen Ohren, Dad. Es ist ein Milchkaffee.«
Inzwischen war sie vor ihrem Haus angekommen. Lächelnd fragte sie: »Und wie geht es dir?«
»Gut. Warum?«
Sie dachte an das Bild, das sie am Vortag von ihm gesehen hatte: Ihr Vater, der langsam immer bleicher geworden war. »Nur so.«
»Du gibst mir das Gefühl, alt zu sein.«
»Du
bist
alt, Dad.«
»Sei nicht so frech«, sagte er, aber in seiner Stimme schwang ein Lachen mit.
Beinahe hätte sie erwidert: »Ganz der Vater«, aber sie unterdrückte ihre Worte. Rick Bentz war immer noch ein wenig empfindlich, wenn er daran erinnert wurde, dass er nicht ihr leiblicher Vater war. Stattdessen sagte sie: »Hör mal, ich muss mich beeilen. Ich ruf dich später zurück. Hab dich lieb!«
»Ich dich auch.«
Sie machte sich auf den Weg die Außentreppe hinauf und begegnete im ersten Stock einem zierlichen Mädchen. Es kämpfte mit etwas, das wie ein undichter Müllsack aussah.
Die dunkelhaarige Asiatin blickte auf und lächelte. »Du musst die neue Nachbarin sein.«
»Ja. Zweiter Stock. Ich bin Kristi Bentz.«
»Mai Kwan. Apartment 202 .« Sie machte eine ausholende Handbewegung in Richtung der offenen Tür am Anfang des Flurs. »Bist du Studentin? Hey, gib mir eine Sekunde, ich bring das hier schnell in den Müllcontainer.« Mit einer geschmeidigen Bewegung schlüpfte sie um Kristi herum und eilte die Treppen hinunter. Ihre Flip-Flops klapperten laut.
Kristi sah ihr verwundert nach. Eigentlich hatte sie keine Lust, bei Regen und Kälte hier draußen auf der Treppe zu stehen. Als sie den zweiten Stock erreichte, vernahm sie das Flappen von Mais Flip-Flops, die hinter ihr die Treppe heraufeilte. Kristi hatte gerade ihre Tür aufgeschlossen und das Apartment betreten, als Mai von draußen rief: »Warte, Kristi!«
Worauf?,
dachte Kristi, aber sie blieb in der offenen Tür stehen. Der Geruch nach Regen wehte in das Zimmer. In diesem Augenblick erschien Mai und stolzierte ungebeten an ihr vorbei. Ihre Sandalen hinterließen kleine Pfützen auf dem alten Holzboden.
»Oh, wow!«, sagte die Asiatin und ließ den Blick durch Kristis Apartment schweifen. Ihr Haar, das bis zum Kinn gestuft war, schimmerte im Schein der Lampe. »Das sieht ja toll aus!« Sie grinste und entblößte dabei eine Reihe von geraden, weißen Zähnen, die von Lippen mit glänzend korallenrotem Lipgloss umrahmt wurden. Ihre sorgfältig geschminkten dunklen Augen taxierten die Umgebung genau.
An einem Ende des langgezogenen Zimmers mit Blick auf den Campus befand sich eine kleine Küchenzeile, abgetrennt durch eine Falttür. In eine der Dachgauben hatte Kristi einen kleinen Schreibtisch gestellt, in die andere einen Lesesessel und eine Couch. Sie hatte die Möbel so gut sie konnte gereinigt und ein paar preiswerte Teppiche auf dem Fußboden verteilt. Eine der Lampen, eine Tiffany-Kopie, hatte sie mitgebracht. Die andere, eine moderne Stehlampe mit einem Schirm, der von der Glühbirne bräunlich verfärbt war, gehörte zur Einrichtung. Die Wände waren mit Postern berühmter Schriftsteller und Fotos von Kristis Familie bedeckt, außerdem hatte sie Kerzen gekauft und auf den Fensterbänken und dem zerschrammten Beistelltischchen verteilt. Ein Spiegel, den sie in einem Secondhand-Laden entdeckt hatte, und ein paar wohlplazierte Blumentöpfe verliehen dem Apartment den bestmöglichen Studentenschick.
»Das ist wundervoll! Mein Gott, du hast ja sogar einen Kamin!« Mai ging zu dem üppig verzierten Sims und fuhr mit dem Finger über das alte Holz. »Ich liebe Feuer. Bist du auch Studentin?«, wiederholte sie ihre Frage von vorhin.
»Ja. Erstes Semester. Hauptfach Englisch«, erklärte Kristi.
»Ich war überrascht, als ich hörte, dass das Apartment vermietet ist.« Mai wanderte noch immer durchs Zimmer und betrachtete die Bilder, die Kristi aufgehängt hatte. Sie kniff die Augen zusammen und beugte sich vor, um ein gerahmtes Foto genauer anzusehen. »Hey, das bist ja du mit diesem berühmten Cop aus New Orleans! Warte mal … Kristi Bentz, bist du die Tochter von –«
»Detective Rick Bentz, ja«, gab Kristi ein wenig unbehaglich zu.
Mai trat noch näher an die Aufnahme und starrte den Schnappschuss von Kristi und ihrem Vater auf einem Boot an, als wollte sie sich jedes Detail einprägen. Das Bild war fünf Jahre alt. Es war eines von Kristis Lieblingsfotos. »Er hat eine Reihe von Serienmorden hier in der Gegend aufgeklärt, stimmt’s? Den Fall in der
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