Angels - Meine Rache waehrt ewig
wagen, ihm zu vertrauen? Ihre geheimen Gedanken waren so persönlich, dass kein Sterblicher sie würde verstehen können. Dennoch war sie versucht, sie preiszugeben. Sie begegnete Vater Tonys Blick, der gewiss bis in ihr Innerstes vordrang, und fragte sich, wie viel sie von ihrer Seele entblößen und wie weit sie mit ihrer Lüge gehen konnte.
Kristi nahm ihren letzten Schluck Kaffee und stellte die Tasse ins Spülbecken. Dann vergewisserte sie sich, dass das Fenster für Houdini einen Spaltbreit offen stand. Sonnenlicht fiel in ihr Apartment – zum ersten Mal, seit sie eingezogen war, gab es einen wolkenlosen Tag. Der klare Himmel ließ auch ihr Gemüt aufklaren, eine willkommene Veränderung, nachdem sie sich in die Welt von Sekten und Vampiren versenkt und nach vermissten Mädchen gesucht hatte. Stundenlang hatte sie recherchiert, Listen erstellt und im Internet nach neuen Artikeln und persönlichen Seiten gefahndet. Nachdem sie einen Einblick in deren gestörtes Familienleben gewonnen hatte, begann sie, die verschwundenen Studentinnen zu verstehen.
Kümmerte ihr Verschwinden irgendwen?
Kristi hatte sich an den Studentenvertreter gewandt und ein frostiges »Geht uns nichts an« geerntet, das ihr zeigte, dass das College vor allem eine schlechte Presse fürchtete.
Frustriert, überlastet und nach nur wenigen Stunden Schlaf in den vergangenen Nächten fand Kristi kaum Zeit zum Luftholen. Sie arbeitete mittlerweile aushilfsweise im Studentensekretariat, um so Zugang zu den Akten der vermissten jungen Frauen zu erhalten sowie ihre Adressen und die ihrer Familien herauszufinden und weitere Hintergrundinformationen – wie zum Beispiel über mögliche Jobs – zu sammeln. Sie selbst arbeitete zusätzlich nach wie vor in dem Diner, besuchte jede Menge Seminare und kämpfte mit den Bergen von Hausaufgaben.
Und die ganze Zeit über hatte sie die vermissten Mädchen im Kopf.
Während des Unterrichts, wenn sie den Campus überquerte oder bei der Arbeit. Sie war in das soziale Umfeld der Studentinnen vorgedrungen, hatte sich mit ihren Freunden getroffen, wenngleich es nur sehr wenige gab, und alle waren äußerst verschwiegen gewesen. Keines der Mädchen, die sie zu befragen versucht hatte, hatte angeblich etwas von einer speziellen Gruppe gehört, der Dionne, Monique, Tara oder Rylee angehört haben könnten, aber Kristi ließ das Gefühl nicht los, dass sie etwas vor ihr verbargen.
Etwas, das sie verdammt noch mal herausfinden würde, selbst wenn sie jemanden vom Lehrpersonal um Hilfe bitten musste. Sie hatte diese Idee zunächst verworfen, aber sie wurde es langsam müde, gegen Mauern anzurennen.
Heute, bei Sonnenlicht, hob sich ihre Stimmung. Der seit über einer Woche verhangene Himmel war ihr aufs Gemüt geschlagen, und die nebeligen, undurchdringlichen Nächte hatten in ihr den Wunsch geweckt, sich vor dem Kamin zusammenzurollen und die Sicherheitsschlösser zweifach und dreifach zu kontrollieren.
Sie hatte nie ernsthaft unter irgendwelchen Angstattacken gelitten, nicht nach dem Tod ihrer Mutter und noch nicht einmal nach den Übergriffen auf ihr Leben. Doch jetzt, mitten im Winter, in Tara Atwaters ehemaligem Apartment hatte sich alles verändert. Manchmal fühlte sie sich genauso paranoid wie ihr Vater, der Cop, dessen Atem sie nach wie vor in ihrem Nacken spürte, obwohl er New Orleans nicht verlassen hatte.
Aber heute nicht. Nicht wenn die Januarsonne die Wolken vertrieb.
Kristi schnappte sich ihren Rucksack mit dem Laptop und ging in Richtung Tür.
Es der Dienstag ihrer zweiten Studienwoche, und sie steckte bereits in mehreren Zwickmühlen. Zum einen war da die Sache mit Jay und ihren widerstreitenden Gefühlen für ihn. Während der zweiten Unterrichtsstunde hatte er sich absolut professionell verhalten. Sein Blick war dem ihren nicht eine Sekunde länger begegnet als dem der anderen Studenten, während er die Sicherstellung von Tatort und Beweismaterial am Beispiel des Serienkillers Vater John erläuterte. Kühl und distanziert hatte Jay die verschiedenen Beweisstücke analysiert. Während der Pause und nach dem Seminar war er von interessierten Studenten umringt gewesen und schien nicht zu bemerken, dass sie ging.
Na und? Umso besser. Sie sollte die Sache nicht unnötig aufbauschen.
Er ist dein Professor. Basta.
Trotzdem wurmte sie die Tatsache, dass er sie so gut wie ignoriert hatte, mehr, als sie sich eingestehen wollte. Außerdem war ihr klar, dass sie Kontakt mit Jay aufnehmen, mit ihm
Weitere Kostenlose Bücher