Angels - Meine Rache waehrt ewig
kletterte aus dem Pick-up. »Ich wohne im zweiten Stock.«
Das ist ein Fehler,
dachte er.
Ein Riesenfehler.
Doch noch während sie die Beifahrertür zuschlug, war seine Hand am Türgriff. Er stieg aus, steckte seine Schlüssel in die Tasche und schalt sich innerlich dafür, dass er sich darauf einließ.
Gleich darauf versuchte er sich einzureden, es wäre eine gute Gelegenheit, sich in ihrer Wohnung umzublicken und sich zu vergewissern, dass sie sich in Sicherheit befand. Aber das war nur eine Ausrede, so viel war ihm klar. In Wahrheit wollte er noch länger mit ihr zusammen sein und, so hatte es zumindest den Anschein, sie auch mit ihm.
Er folgte ihr, vorbei an den Reihen wuchernder Kreppmyrten und ein paar Sträuchern, die nach Sassafras aussahen. Unter dem Vordach am anderen Ende des Gebäudes saß ein Kerl in einem Plastikstuhl und rauchte. Die Spitze seiner Zigarette glühte rot in der Nacht. Er beobachtete sie, sagte aber nichts.
Kristi war bereits auf den Stufen, und Jay folgte ihr.
Vertrau ihr bloß nicht. Sicher, sie wird in den vergangenen neun Jahren erwachsen geworden sein, aber wie pflegte Grandma noch zu sagen? »Ein Leopard legt seine Flecken nicht über Nacht ab.« Oder, in diesem Fall, in einem Jahrzehnt.
Kristi führte Jay zwei Treppen hinauf in den zweiten Stock, und er konnte nicht umhin zu bemerken, wie eng ihre Jeans saß.
Er konnte sich nur zu gut an ihren kleinen Hintern erinnern und hasste sich dafür.
Er riss seinen Blick los und blickte zur Decke, während Kristi die Tür zu ihrem Apartment aufsperrte. Es hatte den Anschein, dass hier oben, unterm Dach, nur eins untergebracht war, während erster Stock und Erdgeschoss in jeweils zwei oder drei Wohneinheiten unterteilt waren. Das Dachgeschoss hatte wegen der Schrägen weniger Quadratmeter, und Jay vermutete, dass früher hier die Angestellten untergebracht gewesen waren.
Von dem Treppenabsatz vor Kristis Apartment aus konnte er den kleinen Garten überblicken und die gewaltige Steinmauer, die das All Saints College umgab. Er machte die Wipfel der Bäume aus, den Glockenturm und das schräge Dach der Kirche. Durch die Bäume hindurch waren weitere Gebäude im verschwommenen Licht der Straßenlaternen zu erkennen. Er erkannte den Säulenvorbau der Bibliothek und ein Türmchen vom Wagner House.
Das Schloss klickte, und Kristi drückte mit der Schulter gegen die Tür. »Komm rein«, sagte sie und trat über die Schwelle. »Es ist nicht groß, aber für die nächsten ein, zwei Jahre ist es zumindest ein gemütliches Zuhause – das heißt, wenn ich die Calloways so lange ertrage.«
Immer noch mit dem Gefühl, einen gewaltigen Fehler zu machen, betrat Jay ihre Wohnung und schloss die Tür hinter sich.
Kristi schleuderte ihren Rucksack auf die abgewetzte Bettcouch, zog die Jacke aus und hängte sie an einen Haken neben der Tür. »Ist das nicht cool hier?«, fragte sie mit offensichtlichem Stolz. Der Hartholzfußboden war abgetreten und zerkratzt. Ein Kamin aus abblätterndem Mauerwerk dominierte eine der Wände, in den Gauben befanden sich kleine Fenster. Die Küche war nicht mehr als ein Tresen mit Herd und Spüle. Dem Gebäude haftete der Geruch von Generationen an, den die Kerzen und der Weihrauch, die sie in den Zimmern verteilt hatte, nicht überdecken konnten. Kristis Zuhause sah aus, als brauchte es dringend jene Generalüberholung, die er am Haus seiner Cousinen vornahm, aber sie schien sich hier wohl zu fühlen.
»In der Tat, ziemlich cool.«
Ihre Augen blitzten amüsiert. »Was verstehst du schon davon?«
»Touché, Miss Bentz.« Er lächelte. Sie verstand es, ihn auf seinen Platz zu verweisen. »Vom Coolsein verstehe ich wirklich nichts.«
»Nun …« Sie schien sich daran zu erinnern, warum sie ihn hereingebeten hatte. »Hier siehst du, was ich bisher zusammengetragen habe«, sagte sie und deutete auf einen Tisch, der mit Unterlagen, Fotos, Notizen und ihrem Laptop bedeckt war. In einer angeschlagenen Tasse steckten ihre Stifte, in einer kleinen Schüssel lagen Büroklammern, Reißzwecken und Tesafilm. An der Wand hatte sie eine Pinnwand befestigt, an der die Fotos der vier vermissten Mädchen hingen. Neben den Fotos waren persönliche Informationen notiert, darunter individuelle körperliche Merkmale, Familienmitglieder, Freunde oder Partner, Jobs, Stundenpläne, Adressen der letzten fünf, sechs Jahre und weitere Details, die aussahen, als hätte Kristi sie vom Computer ausgedruckt.
»Widmest du deinen Studien
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