Angels - Meine Rache waehrt ewig
vertreiben, die er vor allem bei Rylee Ames’ Anblick verspürte. Jung. Schön. Voller Leben. Zumindest auf dem Foto. Aber offensichtlich durcheinander.
Ausgerissen? Entführt? Möglicherweise ermordet …?
War sie Mitglied einer geheimen Sekte?
War Grotto in die Sache verwickelt? Wenn ja, stellte er das mit diesem Vampirquatsch ganz ungeniert zur Schau. War es aber nicht ziemlich dumm, mit dem Finger auf sich selbst zu deuten? Oder brauchte Grotto das für sein Ego? Hielt er sich wirklich für unschlagbar? Er wäre zumindest nicht der Erste. Jay kaute verbissen auf seiner Lippe herum. Vielleicht sollte er Grotto überprüfen, und zwar sorgfältiger, als die Universität es getan hatte. Und wenn er schon dabei war, vielleicht auch die anderen Professoren und Fachbereichsleiter. Oder die Verwaltungsangestellten. Soweit er wusste, überschritten Sekten bei der Zusammensetzung ihrer Mitgliedschaft jegliche soziale Grenzen. Er saß an der Quelle, und es gab keinen Grund, das nicht zu nutzen. Er musste nur die jeweiligen Namen und Adressen eingeben. Manche der Informationen würden öffentlich zugänglich sein, andere nicht. Er würde so weit gehen, wie er konnte, ohne das Gesetz zu übertreten.
Und was dann?
Was ist, wenn du tiefer graben musst?
»Abwarten«, murmelte er. Er würde, wenn nötig, auch diese unscharfe Grenze übertreten.
Das Handy vibrierte in seiner Tasche.
Er hievte sich aus dem Stuhl, zog das Handy hervor und sah Gayles Festnetznummer auf dem Display blinken. Innerlich stöhnend, überlegte er kurz, nicht dranzugehen, aber er wusste, dass er damit das Unvermeidliche nur hinauszögerte.
Er hatte sich bemüht, rücksichtsvoll zu sein.
Es hatte nicht funktioniert.
Gayle hatte den Wink mit dem Zaunpfahl übersehen.
»Hey«, meldete er sich und ärgerte sich über seinen unaufrichtigen Tonfall.
»Wie geht es dir?« Ihre Stimme war zu heiter und ein wenig atemlos.
»Viel zu tun.«
»Wie immer.« Sie seufzte, und er stellte sich vor, dass ihr Gesicht einen gereizten Ausdruck annahm. »Ich vermute, du bist in Baton Rouge und hast keine Zeit für einen Drink oder sonst was?«
»Leider nicht, Gayle.«
»Ich könnte zu dir rauskommen.«
Er sagte ihr nicht, dass er in New Orleans war. Er hatte nicht vor, hier die Nacht zu verbringen – und ganz bestimmt nicht mit Gayle. »Ich arbeite.«
»Aha«, sagte sie, und er sah vor sich, wie sie über den hochflorigen Teppich in ihrer Wohnung wanderte oder vor dem deckenhohen Fenster stand und in die Nacht hinausstarrte. »Aber du wirst doch nicht die ganze Nacht arbeiten, oder? Ich könnte bleiben …«
Wenn es nicht so verdammt traurig wäre, hätte es sogar etwas Komisches: die an Luxus gewöhnte Gayle, die die Nacht ohne heißes Wasser oder sonstige Annehmlichkeiten auf Tante Colleens Baustelle verbrachte.
»Es ist nicht gerade bequem, Gayle. Ich übernachte im Schlafsack auf einem Feldbett.«
»Wie kuschelig«, sagte sie und missverstand seine Worte mit Absicht. »Ich würde ein Hotelzimmer nehmen. Dann könntest du die Nacht unter etwas weniger primitiven Umständen verbringen.«
»Danke, nein.« Jay lehnte sich wieder in seinem Schreibtischstuhl zurück, der quietschend protestierte, als er ein Bein auf den Schreibtisch verlagerte. Er dachte an Kristi, dachte daran, wie unterschiedlich die beiden Frauen doch waren und dass er für Gayle nie so empfunden hatte wie für Kristi. Gayle hatte recht gehabt, ihr weiblicher Instinkt hatte sie nicht getrogen.
»Du gehst mir aus dem Weg«, stellte sie mit einem leisen Schmollen fest.
Jay wappnete sich. Es gab keine Möglichkeit, das zu beschönigen. »Ich habe im Augenblick keine Zeit für dich.«
Er hörte, wie sie nach Luft schnappte. »Wow. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich dachte, wir wollten Freunde sein.«
Vor der Tür zu seinem Büro hörte er Schritte und die leise Unterhaltung zweier vorbeigehender Kollegen. Irgendwo weiter weg klingelte ein Telefon.
»Wir haben wohl unterschiedliche Ansichten darüber, was ›Freunde sein‹ bedeutet.«
»Du willst nicht, dass ich komme«, sagte sie anklagend.
»Es wäre keine gute Idee.« Eine Pause entstand. Jay hatte keine Ahnung, wie er das durchziehen sollte, ohne ihr weh zu tun, deshalb entschied er, dass er grausam sein musste. »Gayle, ich denke, wir sollten uns nicht wiedersehen. Nicht mal als Freunde.«
»Warum sagst du das?«, schrie sie aufgebracht.
»Wir waren uns beide einig, dass es vorbei ist.«
»Du. Ich nicht!«
»Du warst
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