Angerichtet
möglichst viel Wein in sich reinschüttet, einen Wein, den sie zum mindestens siebenfachen Einkaufspreis auf die Karte setzen. Deshalb warten sie auch immer so lange zwischen Vorspeise und Hauptgang: aus purer Langeweile, um die Pause zu überbrücken, bestellen die Leute mehr Wein, so argumentiert man dort. Die Vorspeise kommt meistens recht schnell, erzählte der Freund, wenn die Vorspeise nicht zügig da ist, fangen die Leute an zu nörgeln und sich zu beschweren, sie haben dann das Gefühl, das falsche Restaurant gewählt zu haben. Aber zwischen Vorspeise und Hauptgang haben sie meistens bald schon so viel getrunken, dass sie das Verstreichen der Zeit nicht mehr bemerken. Er kannte Fälle, da war der Hauptgang schon lange fertig, aber solange die Leute am Tisch noch nicht unruhig wurden, blieb der Teller noch in der Küche. Erst wenn das Gespräch ins Stocken geriet und sie sich umsahen, wurden die Teller schnell in die Mikrowelle geschoben.
Worüber sprachen wir noch gleich, bevor die Vorspeise kam? Eigentlich war das jetzt egal, denn es war nichts Wichtiges gewesen, aber dennoch war das ärgerlich. Ich wusste noch, worüber wir uns nach dem Malheur mit dem Weinkorken und der Essensbestellung unterhalten hatten, aber ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, was das Thema gewesen war, bevor die Teller vor uns hingestellt wurden.
Babette hatte sich in einem neuen Fitnessstudio angemeldet, darüber hatten wir uns eine Zeit lang unterhalten, wie gut Bewegung tat und welcher Sport zu wem am besten passte. Claire interessierte sich selbst auch fürs Training in einem Fitnessstudio, und Serge meinte, er könne die aufdringliche Musik nicht ertragen, die in den meisten Fitnessstudios lief. Deshalb habe er mit dem Joggen angefangen, schön alleine draußen an der frischen Luft, erklärte er mit einer Ernsthaftigkeit, als habe er als Erster die Idee dazu gehabt. Dass ich bereits vor Jahren mit dem Joggen angefangen und er nie eine Gelegenheit ausgelassen hatte, sich spöttisch über das »Getrabe des kleinen Bruders« auszulassen, unterschlug er geflissentlich.
Ja, darüber hatten wir uns unterhalten, für meinen Geschmack etwas zu ausführlich, doch ein harmloses Thema und durchaus kein ungewöhnlicher Anfang für einen normalen Abend im Restaurant. Aber danach? Man hätte mich totschlagen können, ich kam nicht drauf. Ich sah zu Serge, meiner Frau und schließlich zu Babette. Genau in diesem Augenblick stach Babette mit der Gabel in ihre Scheibe Vitello tonnato, schnitt einen Bissen ab und führte ihn zum Mund.
»Jetzt hab ich für einen Moment vollkommen den Faden verloren«, sagte sie und hielt mit der Gabel knapp vor dem geöffneten Mund inne. »Wart ihr nun schon in dem neuen Woody Allen oder noch nicht?«
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10
Mir kommt es immer als Zeichen der Schwäche vor, wenn sich das Gespräch allzu bald um Filme dreht. Ich meine damit: Filme sind eher etwas für das Ende eines Abends, wenn man sich wirklich nichts mehr zu sagen hat. Ich weiß nicht, was das ist, aber ich verspüre stets ein ungutes Gefühl in der Magengrube, wenn die Leute von Filmen anfangen: das ist ungefähr so, als würde es draußen bereits wieder dunkel, obwohl man gerade erst aufgestanden ist.
Am schlimmsten sind dann die, die ganze Filme nacherzählen, sie machen es sich auf dem Stuhl gemütlich und nehmen sich locker eine Viertelstunde Zeit für die Schilderung: eine Viertelstunde pro Film, meine ich damit. Sie scheren sich auch nicht groß darum, ob man sich den betreffenden Film noch anschauen möchte oder ihn schon längst gesehen hat, solche Informationen übergehen sie, denn sie befinden sich bereits mitten in der Eingangsszene. Aus Höflichkeit täuscht man anfangs noch Interesse vor, doch die lässt man schon bald sausen, man gähnt herzhaft, schaut zur Decke und rutscht auf dem Stuhl hin und her. Man scheut nichts, um dem Nacherzähler deutlich zu zeigen, dass er oder sie den Mund halten soll, aber das hilft alles nichts, sie sind bereits so sehr in Fahrt, dass sie alle Signale ignorieren, vor allem sind sie süchtig nach sich selbst und ihrem Geschwafel über Filme.
Ich glaube, mein Bruder hatte als Erster von dem neuen Woody Allen angefangen. »Ein Meisterwerk«, sagte er, ohne vorher nachzufragen, ob wir – das heißt Claire und ich – den Film vielleicht auch schon gesehen hatten. Babette nickte heftig, als er sagte, letztes Wochenende hätten sie ihn sich gemeinsam angeschaut. Zur Abwechslung waren
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