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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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Autobahn weit entfernt von der nächsten Abfahrt befindet. »Ja«, sage ich dann, »nur gibt es hier im Moment nichts zu essen.« »Ich habe aber jetzt Hunger!«, sagte Serge. »Ich muss jetzt etwas essen!«
    Das hatte schon etwas Trauriges, diese dumme Entschlossenheit, durch die er alles – seine Umgebung, die Leute, mit denen er gerade zusammen war – vergaß und die ausschließlich auf das eine einzige Ziel hin ausgerichtet war: das Stillen seines Hungers. In solchen Momenten erinnerte er mich an ein Tier, das auf ein Hindernis stößt: einen Vogel, der nicht versteht, dass das Glas im Fenster aus fester Materie besteht, und immer wieder dagegendonnert.
    Und hatten wir dann endlich eine Essgelegenheit gefunden, war es ihm egal, was man ihm vorsetzte. Dann aß er, wie man Benzin tankt: schnell und effizient kaute er auf dem Käsebrötchen oder dem Mandelhörnchen herum, damit der Brennstoff mit möglichst wenigen Bissen seinen Magen erreichte; da man ohne Brennstoff nun einmal nicht weiterkommt.Das ausgiebige Tafeln kam erst viel später. Das ging so ähnlich wie mit den Weinkenntnissen, irgendwann hatte er sich dann einmal überlegt, dass auch so etwas dazugehört, doch die Schnelligkeit und Effizienz, die sind geblieben: auch heute noch hat er immer als Erster den Teller leer gegessen.
    Ich würde einiges darum geben, einmal sehen und hören zu können, wie das zwischen ihm und Babette im Schlafzimmer abgeht. Allerdings widersetzt sich in mir auch etwas vehement gegen diese Vorstellung und ich gäbe mindestens ebenso viel darum, das nie miterleben zu müssen.
    »Ich muss ficken.« Und dann Babette, die antwortet, sie habe Kopfschmerzen, ihre Tage oder heute Abend einfach keine Lust, auf seinen Körper, seine Arme und Beine, seinen Kopf, seinen Geruch. »Aber ich muss jetzt ficken.« Ich glaube, mein Bruder fickt, wie er isst, wahrscheinlich zwängt er sich so in eine Frau hinein, wie er sich ein Hotdog in den Mund stopft, und danach ist sein Hunger gestillt.
    »Du hast dir also vor allem die Titten von Scarlett Johansson angeschaut«, sagte ich, viel schroffer als eigentlich von mir beabsichtigt. »Oder hast du mit Meisterwerk etwas anderes gemeint?«
    Es entstand eine Art verwunderte Stille, die man nur in Restaurants wahrnehmen kann: plötzlich wird einem verstärkt die Anwesenheit der anderen bewusst, das Stimmengewirr und das Klappern des Bestecks auf den Tellern der über dreißig weiteren Tische, ein oder zwei Sekunden der Windstille, in denen die Hintergrundgeräusche zu Vordergrundgeräuschen werden.
    Als Erste brach Babette mit ihrem Gelächter das Schweigen. Ich warf einen kurzen Blick zu meiner Frau, die mich erstaunt anstarrte, und sah dann wieder zu Serge: Auch er versuchte zu lachen, doch es gelang ihm nicht aus ganzem Herzen – zudem befand sich noch immer etwas in seinem Mund.
    »Komm, Paul, tu doch nicht so heilig!«, sagte er. »Sie istdoch wirklich ein echtes Schnittchen und ein Mann hat doch Augen im Kopf, oder nicht?«
    »Schnittchen«, das wusste ich, hörte Claire auch nicht so gerne. Sie würde niemals etwas anderes als »ein gut aussehender Mann« sagen, nie »eine Schnitte«, ganz zu schweigen von »Knackarsch«. »Diese Frauen mit ihrem ewigen, ach so modernen Gehabe über ›Knackärsche‹, egal ob das nun gerade passt oder nicht, das ist mir alles viel zu forciert«, hatte sie mir einmal gesagt. »So wie Frauen, die plötzlich Pfeife rauchen oder auf den Boden spucken.«
    In seinem tiefsten Inneren war Serge immer ein Bauer geblieben, ein ungehobelter Arsch. Derselbe ungehobelte Arsch, der früher wegen seiner Fürze vom Tisch weggeschickt wurde.
    »Ich finde auch, dass Scarlett Johansson eine besonders attraktive Frau ist«, sagte ich. »Doch es klang ein wenig so, als wäre das für dich das Wichtigste am ganzen Film gewesen, du kannst mich ruhig korrigieren, falls ich damit falschliege.«
    »Na ja, mit diesem Engländer, dem Tennislehrer, entwickelte sich das alles in die falsche Richtung, weil er sie sich nicht aus dem Kopf schlagen konnte. Er musste sie dann sogar erschießen, um seine Pläne verwirklichen zu können.«
    »Heh!«, sagte Babette. »Nicht erzählen, das macht doch sonst gar keinen Spaß, wenn man sich den Film noch ansehen will!« Erneut entstand eine kurze Stille, in der Babette erst zu mir und dann zu Claire schaute.
    »Oh, Mist, ich glaub, ich schlafe, ihr hattet ihn ja schon angesehen!«

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    Nun mussten wir alle vier lachen, ein Moment der

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