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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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die ausschließlich an sich dachten.
    Für Außenstehende handelten sie völlig uneigennützig. Rick war damals drei und Valerie ein paar Monate alt. Sie waren also keine normalen Adoptiveltern, die selbst keine Kinder kriegen konnten, sondern sie nahmen einfach aus Nächstenliebe ein drittes Kind in ihre Familie auf. Kein Kind von eigen Fleisch und Blut, sondern ein Kind mit äußerst schlechten Startbedingungen, dem sie hier ein neues, besseres Leben bieten wollten.
    Aber was war das eigentlich? Was machten sie da?
    Da Serge und Babette uns deutlich zu verstehen gegeben hatten, dass diese Frage nicht gestellt werden durfte, stellten wir die weiteren Fragen auch nicht. Hatte Beau noch eigeneEltern, die zustimmten, dass ihr Kind sie verließ? Oder war er Waise, völlig allein auf der Welt? Ich muss gestehen, dass Babette die Adoption fanatischer betrieb als Serge. Von Anfang an war es ganz und gar ihr »Projekt«, etwas, das sie, koste es, was es wolle, zu einem guten Ende bringen wollte. Sie gab sich alle Mühe, dem adoptierten Kind genauso viel Liebe zu geben wie ihren eigenen Kindern.
    Irgendwann wurde das Wort Adoption schließlich tabu. »Beau ist einfach unser Kind«, stellte sie fest. »Es gibt keinen Unterschied.« Und Serge nickte zustimmend: »Wir lieben ihn genauso sehr wie Rick und Valerie«, sagte er.
    Ich will mir kein Urteil darüber erlauben, ob das wirklich ehrlich war. Aber später gereichte es ihm zur Ehre, das schwarze Kind aus Burkina Faso, das er genauso sehr liebte wie seine eigenen Kinder. Im Prinzip funktionierte die Adoption wie die Sache mit dem Wein: Sie schmückte ihn. Serge Lohman, der Politiker mit dem Adoptivsohn aus Afrika.
    Er ließ sich nun häufiger mit der ganzen Familie fotografieren, denn das machte sich ziemlich gut: Serge und Babette auf dem Sofa und zu ihren Füßen ihre drei Kinder. Beau Lohman wurde der lebendige Beweis dafür, dass dieser Politiker nicht von purem Egoismus geleitet wurde, dass er zumindest einmal in seinem Leben nicht aus Eigennutz gehandelt hatte. Immerhin waren seine beiden anderen Kinder auf natürlichem Weg zustande gekommen, es hatte also keine Notwendigkeit für die Adoption eines Kindes aus Burkina Faso bestanden. Vielleicht würde Serge Lohman auch in der Politik nicht aus reinem Eigeninteresse handeln.
    Die Bedienung schenkte Serge und mir Wein nach, die Gläser von Babette und Claire waren noch halb voll. Das Mädchen sah recht gut aus, fast so goldblond wie Scarlett Johansson. Sie brauchte lange dafür, fürs Nachschenken, ihre Bewegungen verrieten, dass sie relativ unerfahren war und wahrscheinlich erst seit Kurzem in dem Restaurant arbeitete. Zunächst hatte sie die Flasche aus dem Kühler genommen und sorgfältig mit der weißen Serviette, die über dem Rand des Kühleimers drapiert war, abgetrocknet, aber auch das Nachschenken an sich verlief nicht ganz reibungslos. Sie stand in einem spitzen Winkel neben Serges Stuhl und schenkte nach, wodurch sie mit dem Ellenbogen gegen Claires Kopf stieß.
    »Oh, Verzeihung«, sagte sie und errötete.
    Natürlich sagte Claire sofort, es sei nicht schlimm, doch das Mädchen war so verwirrt, dass sie Serges Glas randvoll einschenkte. Auch nicht schlimm – für einen Weinkenner aber schon.
    »He, he, he«, rüffelte mein Bruder. »Soll ich mich hier betrinken, oder was?« Er rückte mit dem Stuhl einen halben Meter nach hinten, als hätte das Mädchen nicht sein Glas zu voll geschüttet, sondern ihm eine halbe Flasche Wein über die Hose gegossen. Sie wurde nun noch röter, ihre Augenlider flatterten, und ich fürchtete, sie würde gleich in Tränen ausbrechen. Genau wie die anderen Mädchen mit den schwarzen Bistroschürzen trug auch sie das Haar vorschriftsmäßig hinten zu einem Zopf zusammengebunden, doch durch den goldgelben Farbton wirkte es weniger streng als bei dem Mädchen mit dunklem Haar.
    Sie hatte ein hübsches Gesicht. Ich konnte nichts dagegen tun, aber ich stellte mir vor, wie sie später an diesem Abend das Haargummi aus dem Zopf ziehen und ihr Haar schütteln würde, wenn ihr Arbeitstag im Restaurant beendet sein würde – dieser schreckliche Arbeitstag, wie sie einer Freundin (oder vielleicht auch einem Freund) erzählen würde: »Weißt du, was mir heute wieder passiert ist! Natürlich wieder mir! Du weißt doch, wie verrückt mich das ganze Etikette-Getue mit den Weinflaschen macht. Also, heute Abend lief es komplett schief. Das wäre ja alles noch nicht so schlimm gewesen, aber

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