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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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der Niederlande auf einem Foto, sie hatten ein paar Worte miteinander ausgetauscht, aber er war auch ein viel beschäftigter Mann.
    »Ja«, sagte Serge in das Gerät. »Wo?« Er sah den Bart und dessen Tochter schon nicht mehr an, sondern schaute nach draußen, für ihn waren sie bereits verschwunden. Ich muss zugeben, dass er das ziemlich überzeugend spielte. »Ich bingerade beim Essen«, sagte er und sah auf die Uhr; er nannte den Namen des Restaurants. »Vor zwölf kann ich das nicht schaffen«, sagte er.
    Ich sah es jetzt als meine Pflicht an, den Mann mit dem Bart anzuschauen. Ich war der Assistenzarzt, der den Patienten zum Ausgang begleitete, weil der Arzt sich um den nächsten kümmern musste. Ich machte eine Gebärde, keine entschuldigende Gebärde, sondern eine Gebärde, die bedeutete, dass er und seine Tochter sich nun zurückziehen durften, ohne ihr Gesicht zu verlieren.
    »Das sind dann solche Momente, bei denen man sich fragt, wofür man das eigentlich alles macht«, stöhnte mein Bruder, als wir wieder allein waren und er sein Handy wieder eingesteckt hatte. »Meine Herren, solche sind die Schlimmsten! Diese Kletten. Wenn sie dann wenigstens noch ein nettes Mädchen gewesen wäre …« Er zwinkerte. »Oh, entschuldige, Paul, ich hatte vergessen, dass du ja gerade auf solche Mauerblümchen stehst.«
    Er kicherte über seinen Witz, und ich kicherte mit und schaute währenddessen zur Tür, ob Claire und Babette wieder auftauchten. Schneller als erwartet wurde Serge wieder ernster, er stützte die Ellenbogen auf den Tisch und legte die Fingerspitzen aneinander. »Worüber sprachen wir noch gleich?«, sagte er.
    Und da kamen sie mit dem Hauptgericht.

[Menü]
    18
    Und nun? Nun stand ich draußen und schaute aus der Entfernung zu meinem Bruder, der mutterseelenallein an unserem Tisch saß. Die Versuchung war groß, den restlichen Abend hier zu verbringen – jedenfalls nicht zurückzukehren.
    Es ertönte ein elektronisches Piepsen, von dem ich erst nicht wusste, woher es kam, es folgten noch weitere Piepstöne, die zusammen eine Melodie ergaben, am ehesten erinnerte es noch an das Klingelzeichen eines Handys, aber nicht von meinem Handy.
    Dennoch kam es aus meiner Jackentasche, allerdings aus der rechten Tasche: ich bin Linkshänder, mein Handy trage ich immer links. Ich griff mit der Hand – der rechten – in die Jackentasche und fühlte, außer dem vertrauten Haustürschlüssel und etwas Hartem, von dem ich wusste, dass es eine angebrochene Kaugummipackung war, einen Gegenstand, der nur ein Handy sein konnte.
    Noch bevor ich das piepsende Handy aus der Tasche genommen hatte, wusste ich, was es damit auf sich hatte. Wie Michels Handy in meine Jackentasche geraten war, konnte ich nicht ad hoc rekonstruieren, doch ich war nun mit der simplen Tatsache konfrontiert, dass jemand Michel anrief: auf seinem Handy. Außerhalb meiner Jackentasche klang das Klingelzeichen ziemlich laut, so laut, dass ich schon befürchtete, man könne es bis tief in den Park hinein hören.
    »Scheiße!«, sagte ich.
    Auf der einen Seite wäre es natürlich das Beste, das Handy so lange dudeln zu lassen, bis sich von selbst die Mailbox einschaltete. Auf der anderen Seite wollte ich aber, dass es jetzt sofort ruhig war.
    In jedem Fall war ich neugierig, wer da anrief.
    Ich sah auf das Display, um nachzuschauen, ob ich vielleicht einen Namen erkannte, doch das schien nicht nötig zu sein. Das Display leuchtete im Dunkeln auf, und auch wenn die Gesichtszüge verschwommen waren, erkannte ich sofort meine Frau.
    Aus irgendeinem Grund rief Claire ihren Sohn an, und um den zu erfahren, gab es nur einen Weg.
    »Claire?«, sagte ich, nachdem ich den Slider hochgeschoben hatte.
    Stille. »Claire?«, sagte ich noch einmal. Ich blickte mehrmals um mich, es war nicht ganz unwahrscheinlich, dass meine Frau gleich hinter einem Baum auftauchte – dass es nur ein Witz war, den ich jetzt noch nicht ganz kapierte.
    »Papa?«
    »Michel! Wo bist du?«
    »Zu Hause. Ich habe … ich konnte … Aber wo bist denn du?«
    »Im Restaurant. Das haben wir dir doch gesagt. Aber wie … –« Wie komme ich an dein Handy?, wollte ich fragen, doch das schien mir im Moment keine gute Frage zu sein.
    »Aber wieso hast du mein Handy?«, fragte mich jetzt mein Sohn; er klang nicht empört, eher überrascht, so wie ich.
    Sein Zimmer, zuvor am Abend, sein Handy auf dem Tisch … Was machst du hier oben? Du hast gesagt, du suchst mich. Weshalb denn? Hatte ich da sein

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