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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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mit dem Plastikbeutel, der die Panzerwagen am Platz des himmlischen Friedens aufhalten will.
    Aber es gab noch etwas anderes, das eine Rolle spielte. Die beiden trugen Mützen, aber sie waren aus gutem Hause. Sie waren weiß. Es war schwer zu sagen, woran man das sah, man konnte es kaum beschreiben: Es war etwas an ihrer Kleidung, an ihren Bewegungen. Gut erzogene Jungen. Nicht die Sorte, die Autos anzündet, um damit einen ethnischen Krawall anzufangen. Genug Geld, gut situierte Eltern. Jungs, wie wir sie alle kennen. Jungs wie unser Neffe. Wie unser Sohn.
    Ich kann mich noch ganz genau an den Augenblick erinnern, als mir bewusst wurde, dass es nicht um Jungs wie unseren Neffen oder unseren Sohn ging, sondern tatsächlich um unseren eigenen Sohn (und unseren Neffen). Es war ein kalter und totenstiller Moment. Bis auf die Sekunde genau könnte ich bei den Bildern den Moment angeben, als ich den Blick vom Fernseher abwandte und Claire von der Seite ansah. Da die Ermittlungen noch laufen, gebe ich hier nicht preis, woran ich schockiert erkannte, dass ich gerade meinem eigenen Sohn zuschaute, der eine obdachlose Frau mit einem Bürostuhl und Müllsäcken bombardierte. Lachend. Ich gehe jetzt nicht näher darauf ein, weil ich theoretisch immer noch die Möglichkeit habe, alles zu leugnen. Erkennen Sie in diesem jungen Mann Michel Lohman? In diesem Stadium der Ermittlungen kann ich noch immer mit dem Kopf schütteln. Schwer zu sagen … Die Bilder sind ziemlich undeutlich, ich könnte das nicht beschwören.
    Es folgten noch weitere Bilder. Es handelte sich um eine Montage, eine Montage, bei der die Stellen, wo wenig passierte, herausgeschnitten waren. Man sah immer wieder aufs Neue, wie die beiden Jungs ins Häuschen kamen und mit Sachen warfen.
    Das Schlimmste kam zum Schluss, die Bilder, die über die halbe Welt verbreitet wurden. Zuerst sah man, wie der Kanister geworfen wurde – der leere Kanister –, und danach, als sie wieder einmal hinausgegangen und zurückgekehrt waren, wurde noch etwas geworfen; auf den Bildern konnte man nicht genau erkennen, was es war: ein Feuerzeug? Ein Streichholz? Man sah einen Lichtblitz, ein Lichtblitz, der alles auf einen Schlag überbelichtete, sodass man für ein paar Sekunden überhaupt nichts mehr erkennen konnte. Das Bild wurde weiß. Als es wieder da war, konnte man noch sehen, wie sichdie Jungs schnell aus dem Staub machten. Sie kehrten nicht zurück. Auf den letzten Bildern der Überwachungskamera gab es kaum noch etwas zu sehen. Kein Rauch, keine Flammen. Nach der Explosion des Kanisters hatte es keinen Brand gegeben. Aber gerade weil nichts zu sehen war, waren die Bilder so angsteinflößend. Da das Wichtigste außerhalb des Bildes stattgefunden hatte, musste man sich den Rest selbst ausmalen.
    Die obdachlose Frau war tot. Höchstwahrscheinlich auf der Stelle tot. Im selben Augenblick, in dem Benzindämpfe aus dem Kanister vor ihrem Gesicht explodierten. Oder höchstens ein paar Minuten später. Vielleicht hatte sie noch versucht, sich aus dem Schlafsack zu schälen – vielleicht auch nicht. Außerhalb des Bildes.
    Ich guckte, wie gesagt, zur Seite, in Claires Gesicht. Wenn sie sich mir zugewandt und mich angeschaut hätte, dann hätte ich es gewusst. Dann hätte sie dasselbe wie ich gesehen.
    Und in diesem Moment wandte sich Claire mir zu und sah mich an.
    Ich hielt die Luft an – oder besser gesagt: ich atmete ein, um als Erster etwas zu sagen. Etwas – ich wusste noch nicht genau, welche Worte ich wählen würde –, das unser Leben verändern würde.
    Claire griff zur Rotweinflasche und hielt sie hoch: es war nur noch ein kleiner Rest drin, vielleicht ein halbes Glas.
    »Willst du das noch?«, fragte sie. »Oder soll ich einfach eine neue Flasche aufmachen?«

[Menü]
    22
    Michel stand da mit den Händen in der Jacke; es war schwer zu beurteilen, ob er meine Lüge geschluckt hatte, er drehte den Kopf zur Seite, wodurch ihm das Licht aus dem Restaurant aufs Gesicht fiel.
    »Wo ist Mama?«, fragte er.
    Mama. Claire. Meine Frau. Mama hatte zu ihrem Sohn gesagt, dass Papa keine Ahnung habe. Und dass sie möchte, dass das auch so bleibt.
    Früher am Abend, in der Kneipe, hatte mich meine Frau gefragt, ob ich nicht auch der Ansicht sei, unser Sohn würde sich in der letzten Zeit irgendwie seltsam verhalten. Distanziert, war das Wort, das sie benutzt hatte. Ihr beide unterhaltet euch doch wieder über ganz andere Sachen als Michel und ich, hatte sie gesagt. Vielleicht ist es

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