Angerichtet
Tasche und steckte ihn ins Schloss, das mit einem Knall aufschnappte. Ich warf einen flüchtigen Blick auf den rauchenden Mann beim Eingang. »Michel«, sagte ich in einem leisen, aber eindringlichen Ton, »du kannst nicht einfach davor fliehen. Wir müssen überlegen, was wir jetzt tun! Gibt es noch weitere Filme, die ich nicht gesehen habe? Muss ich sie erst auf YouTube suchen oder sagst du mir einfach jetzt gleich, ob …«
»Papa!« Michel hatte sich mit einem Ruck umgedreht und griff nach meinem Unterarm; er zog heftig daran und sprach: »Halt doch endlich mal deine Klappe!«
Überrascht sah ich meinem Sohn in die Augen. Seine ehrlichen Augen, in denen ich jetzt – es hat keinen Sinn, noch weiter drum herum zu reden – nur blanken Hass lesen konnte. Ich erwischte mich dabei, wie ich kurz zur Seite sah, zum rauchenden Mann rüber.
Ich grinste meinen Sohn an. Ich konnte mein Grinsen nicht sehen, aber es war zweifellos ein dümmliches Grinsen. »Okay, ich halte meine Klappe«, sagte ich.
Michel ließ meinen Arm los, er biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. »Mein Gott! Wann benimmst du dich endlich mal normal?«
Ich fühlte einen kalten Stich in der Brust. Jeder andere Vater hätte nun etwas gesagt wie: »Wer benimmt sich hier denn normal? Na? Wer? Wer benimmt sich hier normal?« Aber ich war kein Vater wie andere Väter. Ich wusste, worauf mein Sohn abzielte. Ich wollte, ich könnte ihn umarmen und anmich drücken. Doch sehr wahrscheinlich würde er mich voller Abscheu von sich stoßen. Ich wusste genau, dass mir eine solche körperliche Abweisung zu viel wäre, dass ich dann auf der Stelle in Tränen ausbrechen würde und nicht mehr aufhören könnte.
»Mein lieber Junge«, sagte ich.
Ganz ruhig bleiben, beschwichtigte ich mich. Ich musste zuhören. Ich erinnerte mich jetzt wieder, dass Michel gesagt hatte, ich würde nicht zuhören. »Ich bin ganz Ohr«, sagte ich.
Erneut schüttelte er den Kopf und nahm dann sein Fahrrad aus dem Ständer.
»Warte!«, rief ich. Ich versuchte mich zu beherrschen. Ich ging sogar einen Schritt zur Seite, damit es nicht so aussah, als würde ich ihm den Weg versperren wollen. Doch bevor es mir richtig bewusst wurde, hatte ich ihm auch schon eine Hand auf den Unterarm gelegt.
Michel blickte auf die Hand, als sei ein unbekanntes Insekt auf seinem Arm gelandet, danach sah er mich an.
Alles stand auf der Kippe, ging es mir durch den Kopf. Wir befanden uns kurz vor einem Wendepunkt, an dem sich entscheiden würde, was im Nachhinein nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Ich nahm meine Hand von seinem Unterarm.
»Michel, da wäre noch etwas«, sagte ich.
»Papa, bitte.«
»Du bist angerufen worden.«
Er starrte mich an. Ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn ich im nächsten Augenblick seine Faust im Gesicht gespürt hätte: seine Knöchel hart auf meiner Oberlippe, oder höher, auf meiner Nase, es würde Blut fließen, aber damit würde einiges deutlicher werden. Klarer.
Aber es passierte nichts. »Wann?«, fragte er in ruhigem Ton.
»Michel, du musst mir verzeihen, ich hätte das nie tun dürfen, aber … es lag an den Filmen, ich wollte dich … ich habe versucht …«
»Wann?« Mein Sohn nahm den Fuß, den er bereits auf die Pedale gestellt hatte, wieder herunter und stand nun mit beiden Füßen fest auf dem Kies.
»Vor einer Weile, es wurde eine Nachricht hinterlassen. Ich habe die Nachricht abgehört.«
»Von wem?«
»Von B… von Faso.« Ich zuckte mit den Schultern, ich kicherte. »So nennt ihr ihn doch? Faso?«
Ich konnte es sehr genau sehen, da gab es kein Vertun: Das Gesicht meines Sohnes erstarrte. Die Beleuchtung war zwar schwach, aber ich hätte schwören können, dass er ein paar Nuancen blasser wurde.
»Was wollte er?« Seine Stimme klang ruhig. Oder nein, nicht ruhig. Er versuchte beiläufig zu klingen, fast so, als sei die Tatsache, dass ihn sein adoptierter Cousin heute Abend angerufen hatte, nicht weiter von Bedeutung.
Aber er verriet sich selbst. Bedeutung hatte etwas anderes: die Tatsache, dass sein Vater seine Mailbox abhörte. Das war nicht normal. Jeder andere Vater hätte sich das zweimal überlegt. Das hatte ich übrigens auch. Ich hatte mir das zweimal überlegt. Michel hätte wütend werden müssen, er hätte schreien müssen: Wie ich denn bitte auf die Idee käme, seine Mailbox abzuhören. Das wäre normal gewesen.
»Nichts«, sagte ich. »Er hat dich um Rückruf gebeten.« Mit seinem aufgesetzt jovialen
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