Angerichtet
Frau genau im Auge und achtete darauf, ob irgendetwas an ihrem Verhalten darauf hinwies, dass auch sie einen Zusammenhang zwischen den Bildern der Überwachungskamera und unserer glücklichen Familie vermutete.
»Ist was?«, fragte sie eines Abends. Offensichtlich hatte ich sie zu intensiv beobachtet. »Was schaust du mich so an?«
»Nichts«, sagte ich. »Habe ich dich angeschaut?«
Da musste Claire lachen, sie legte ihre Hand auf meine und drückte sie sanft.
In solchen Situationen vermied ich es immer krampfhaft, zu meinem Sohn hinzusehen. Ich wollte keine verständnisvollen Blicke. Ich würde ihm auch nicht zuzwinkern oder ihn irgendwie spüren lassen, dass wir ein Geheimnis teilten. Ich wollte, dass alles normal war. Mit einem geteilten Geheimnis hätten wir einen Wissensvorsprung vor Claire – vor seiner Mutter, vor meiner Frau. In gewisser Weise würden wir sie ausschließen, daraus erwuchs eine größere Bedrohung für unsere glückliche Familie, als durch das ganze Unglück in dem Automatenhäuschen.
Ohne einvernehmliche Blicke und natürlich ohne Zwinkern gab es auch kein Geheimnis, argumentierte ich. Die Vorfälle in dem Geldautomatenhäuschen würden wir wahrscheinlich nur schwer verdrängen können, aber im Laufe der Zeit würde die Erinnerung losgelöst von uns existieren, so wie auch bei allen anderen. Was wir aber vergessen sollten, war das Geheimnis. Und es war am besten, mit dem Vergessen möglichst früh zu beginnen.
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25
So sah der Plan aus. Vielmehr hatte so der Plan ausgesehen, bevor ich mir die Sendung von Aktenzeichen XY erneut angeschaut und den weißen Sportschuh entdeckt hatte.
Der nächste Schritt war reine Eingebung gewesen. Vielleicht gab es ja irgendwo noch anderes Material, überlegte ich. Oder besser gesagt: vielleicht war das unbekannte Material absichtlich oder aus Versehen auf einer anderen Site gelandet.
Ich ging auf YouTube. Die Chance war äußerst gering, aber einen Versuch war es wert. Bei »Suchen« gab ich den Namen der Bank ein, zu der der Geldautomat gehörte, dahinter dann das Wort »Obdachlose«, »death« und »homeless«.
Ich hatte tatsächlich vierunddreißig Treffer. Ich scrollte nach unten, entlang der Bildchen. Das Startbild war überall so ziemlich dasselbe: die Köpfe von zwei lachenden Jungen mit Mützen. Nur die dazugehörenden Titel und kurzen Inhaltsangaben der jeweiligen Filme wichen voneinander ab. Dutch Boys [Name der Bank] Murder war noch einer der Harmlosesten. Don’t Try This at Home – Fire Bomb Kills Homeless Woman lautete ein anderer. Jeder einzelne Film war wahnsinnig beliebt – mehrere Tausend hatten sich die Videos angesehen.
Ich klickte willkürlich auf irgendeinen Film und sah wieder, wenn auch in einer schnelleren, montierten Version, wie der Bürostuhl geworfen wurde, die Müllsäcke und der Kanister.Ich sah mir noch ein paar an. Bei einer Montage mit dem Titel [Name der Stadt] Hottest New Tourist Attraction: Put Your Money on Fire! hatte jemand den Film mit einem Lachband untermalt. Nach jedem neuen Gegenstand, der auf die obdachlose Frau geworfen wurde, folgte eine Lachsalve. Das Lachen wurde schließlich geradezu hysterisch, als der Lichtblitz aus dem Kanister gezeigt wurde, und endete dann mit dröhnendem Applaus.
Die meisten Videos zeigten die Sequenz mit dem weißen Sportschuh nicht, sie hörten gleich nach dem Lichtblitz und den wegrennenden Jungs auf.
Im Nachhinein kann ich auch nicht mehr sagen, weshalb ich mir auch noch das nächste Video anschaute. Er schien sich nicht von den anderen zu unterscheiden. Auch das Startbild war das Gleiche: zwei lachende Jungen mit Mütze, nur hielten sie hier bereits den Bürostuhl hoch.
Vielleicht lag es an dem Titel, der Men in Black III lautete. Schon mal kein spaßiger Titel, so wie bei den anderen. Sondern der erste, und wie mir später auffiel, auch der einzige Titel, der sich nicht auf das Gezeigte bezog, sondern indirekt auf die Täter.
Men in Black III begann mit dem Bürostuhl, der geworfen wurde, darauf folgten die Müllsäcke, die Lampe und der Kanister. Aber es gab einen wesentlichen Unterschied. Immer dann, wenn beide oder einer der beiden Jungen einigermaßen scharf im Bild erschienen, wurden die Bilder langsamer. Und jedes Mal, wenn das passierte, hörte man Unheil verkündende Musik, eher eine Art Summton, ein tiefes, gurgelndes Geräusch, das man vor allem mit Unterwasser- und Schiffsunglücksfilmen verband. Das Ergebnis dieser Bearbeitung war, dass sich die
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