Angerichtet
Sohn von mir wegholen konnten.
Und habt ihr euch dann, heute Nachmittag, über Michel unterhalten? Ich stellte die Frage nicht, ich ließ sie sozusagen in der Luft hängen. Mit der Stille, die ich nun eintreten ließ, gab ich Babette die Gelegenheit, selbst die Leerstelle in ihrer Antwort zu füllen.
»Weshalb geht Michel nie mit ins Krankenhaus?«, fragte Babette.
»Was?«, sagte ich.
»Weshalb besucht Michel nie seine Mutter? Seit wann liegt Claire nun schon dort? Das ist doch nicht normal, ein Sohn, der seine Mutter nicht sehen will.«
»Das haben Claire und ich besprochen. Anfangs wollte sie es selbst sogar nicht. Sie wollte nicht, dass Michel sie so sieht.«
»Das war anfangs. Aber später. Später gab es doch eine Gelegenheit? Ich will damit sagen, dass Claire es inzwischen selbst nicht mehr versteht. Sie glaubt, ihr Kind habe sie bereits vergessen.«
»Jetzt bleib aber bitte mal auf dem Teppich. Natürlich hat Michel seine Mutter nicht vergessen. Er spricht …« – ich wollte »er spricht andauernd von ihr« sagen, aber das stimmte einfach nicht –, »er will sie einfach nicht sehen. Er will nicht mit ins Krankenhaus. Ich frage ihn wirklich oft genug. ›Sollen wir morgen zu Mama gehen?‹, sage ich. Und dann macht er bereits ein bedenkliches Gesicht. ›Vielleicht …‹, sagt er dann, und wenn ich es ihn am nächsten Tag noch einmal frage, schüttelt er den Kopf. ›Vielleicht morgen‹, sagt er. Ich meine, ich kann ihn doch schließlich nicht zwingen. Nein, warte, es ist anders: Ich will ihn nicht zwingen. Nicht unter diesen Umständen. Ich werde ihn nicht gegen seinen Willen mit ins Krankenhaus schleppen. Ich möchte nicht, dass er sich später so daran erinnert. Er wird ganz gewiss seine Gründe haben. Er ist erst vier, aber wahrscheinlich weiß er selbst am besten, wie er mit der Situation umgehen muss. Wenn er momentan die Tatsache, dass seine Mutter im Krankenhaus liegt, verdrängen will, dann soll er das ruhig tun, finde ich. Ich finde das ziemlich erwachsen. Erwachsene Menschen verdrängen auch alles.«
Babette schnupperte ein paar Mal und zog dann die Augenbrauen hoch.
»Ist das nicht …?«, sagte sie. Und im selben Moment rochich es auch. Als ich mich mit einem Ruck umdrehte und in die Küche rannte, konnte ich den Qualm schon im Flur hängen sehen.
»Scheiße!« Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen traten, während ich die Gasflamme ausdrehte und dann die Tür zum Garten öffnete. »Scheiße! Scheiße! Scheiße!« Ich wedelte mit den Armen, aber der Qualm verbreitete sich nur noch mehr in der Küche und zog nicht ab.
Mit feuchten Augen starrte ich in den Topf. Ich nahm den Holzlöffel von der Anrichte und rührte in dem verklumpten, schwarzen Brei.
»Paul …«
Zu zweit standen sie in der Tür. Serge mit einem Fuß in der Küche, Babette hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt.
»Ach, guckt euch das hier doch mal an!«, schrie ich. »Guckt es euch an!«
Mit aller Kraft pfefferte ich den Holzlöffel wieder auf die Anrichte. Ich kämpfte gegen noch mehr Tränen an, aber es gelang mir nur halb.
»Paul …« Mein Bruder hatte nun auch mit dem anderen Fuß die Küche betreten, ich sah seine ausgestreckte Hand in der Luft und trat schnell einen Schritt zur Seite.
»Paul«, sagte er. »Das ist doch alles ganz logisch. Erst dein Job und jetzt auch noch Claire. Das darfst du dir selbst wirklich eingestehen.«
Ich kann mich deutlich an das Zischen erinnern, als ich die glühend heißen Griffe des Topfes anfasste und die Haut an meinen Fingern verschmorte. Ich spürte keinen Schmerz, jedenfalls nicht in diesem Augenblick.
Babette schrie. Serge zog den Kopf noch zurück, aber der Bodenrand des Topfes traf ihn mitten ins Gesicht. Er schwankte nach hinten und fiel halb auf Babette, als ich ihm den Topf ein weiteres Mal ins Gesicht schlug. Ein Krachen war zu hören und Blut gab es jetzt auch: Es spritzte auf die weißen Kachelnder Küchenwand und auf die Gläser im Gewürzbord neben dem Herd.
»Papa.«
Serge lag ausgestreckt auf dem Küchenboden, im Umkreis von seinem Mund und seiner Nase war das eine ziemlich breiige und blutige Angelegenheit. Ich hatte bereits ausgeholt und war bereit, den Topf nochmals auf den breiigsten und blutigsten Teil seines Gesichts niederkommen zu lassen.
Michel stand in der Tür, er sah nicht zu seinem auf dem Boden liegenden Onkel, sondern zu mir.
»Michel«, sagte ich; ich versuchte zu lächeln; ich ließ den Topf sinken. »Michel«, sagte
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