Angerichtet
Aber meinEntschluss steht fest. Sie weiß auch erst seit heute Nachmittag davon.«
Er holte tief Luft. Danach schaute er nacheinander jeden von uns an. Erst jetzt bemerkte ich den feuchten Schimmer in seinen Augen.
»Im Interesse meines Kindes, und auch im Interesse des Landes, trete ich als Spitzenkandidat zurück«, sagte er.
Babette hatte sich eine Zigarette zwischen die Lippen gesteckt, doch jetzt nahm sie sie wieder heraus. Sie sah Claire und mich an.
»Liebe Claire«, sagte sie. »Lieber Paul … ihr müsst ihn zur Vernunft bringen. Sagt ihm bitte, dass er das nicht machen kann. Sagt ihm, dass er vollkommen durchgedreht ist.«
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»Das ist doch unmöglich«, sagte Claire.
»Nicht wahr?«, sagte Babette. »Siehst du, Serge. Was meinst denn du dazu, Paul? Du findest den Plan doch auch hirnrissig, oder? Wirklich vollkommen unbrauchbar.«
Mir persönlich erschien die Idee wunderbar, dass mein Bruder seine politische Karriere hiermit beenden würde. Es wäre für alle das Beste. Dem Land bliebe eine vierjährige Regierungszeit mit Serge Lohman erspart: vier kostbare Jahre. Ich dachte an das Undenkbare, an Sachen, die ich meistens erfolgreich hatte verdrängen können: Serge Lohman posiert neben der Königin auf den Treppen des Königlichen Palastes fürs offizielle Foto. Mit seiner neu gebildeten Regierung. Mit George Bush. Serge im Schaukelstuhl vor dem offenen Kamin. Serge mit Putin in einem Bötchen auf der Wolga … »Im Anschluss an das europäische Gipfelreffen erhob Premier Lohman gemeinsam mit dem französischen Präsidenten …« Es ging vor allem darum, dass ich mich für ihn schämte: der unerträgliche Gedanke, dass Regierungschefs aus aller Welt mit der geistesabwesenden Anwesenheit meines Bruders konfrontiert würden. Wie er auch im Weißen Haus und im Élysée-Palast seine Tournedos mit drei Bissen verschlingen würde, weil er jetzt essen musste. Die vielsagenden Blicke, die die Regierungschefs sich dann zuwerfen würden. »He’s from Holland«, würden sie sagen – oder nur denken, was nochschlimmer wäre. Man würde vor Scham im Boden versinken wollen. Wenn man es genau betrachtete, war die Scham für unsere Premiers das einzige Gefühl, das die eine niederländische Regierung nahtlos mit der nächsten verband.
»Vielleicht sollte er noch einmal gut darüber nachdenken«, sagte ich zu Babette und zuckte mit den Achseln. Die schrecklichste Vorstellung war: Serge bei uns daheim am Tisch, irgendwo in einer bis vor Kurzem noch sehr nahen, sich jetzt zum Glück aber schnell auflösenden Zukunft. Sein Schwadronieren über seine Begegnungen mit den Staatsoberhäuptern. Es würden nichtssagende Geschichten sein, Geschichten voller Gemeinplätze. Claire und ich würden die Banalität noch durchschauen. Aber Michel? Würde Michel fasziniert sein von den Anekdoten, wenn mein Bruder kurz den Schleier lüften und ihn hinter den Vorhang des Welttheaters schauen lassen würde, um damit seine Anwesenheit an unserem Esstisch zu rechtfertigen? »Was beschwerst du dich, Paul. Du siehst doch, dass dein Sohn sich durchaus dafür interessiert.«
Mein Sohn. Michel. Ich hatte an eine Zukunft gedacht, ohne mir die Frage zu stellen, ob es die auch noch gab.
»Darüber nachdenken?«, sagte Babette. »Das ist es ja gerade. Würde er doch mal nachdenken!«
»Das meine ich nicht«, sagte Claire. »Ich meine, dass es Serge nicht freisteht, so eine Entscheidung einfach alleine zu treffen.«
»Ich bin seine Frau!«, rief Babette und fing wieder an zu schluchzen.
»Auch das meine ich nicht, Babette«, sagte Claire, während sie Serge ansah. »Ich meine, dass uns das hier alle betrifft. Es geht uns alle an. Uns vier.«
»Deshalb wollte ich auch, dass wir uns treffen«, sagte Serge. »Um gemeinsam zu besprechen, wie wir es anpacken sollen.«
»Wie wir was anpacken sollen?«, wollte Claire wissen.
»Wie wir es bekannt geben werden. Auf eine Art, die unseren Kindern eine ehrliche Chance gibt.«
»Aber du gibst ihnen doch keinerlei Chance, Serge. Du gibst doch nur bekannt, dass du dich aus der Politik zurückziehst. Dass du kein Premier mehr werden willst. Weil du nicht damit leben kannst, sagtest du.«
»Kannst du denn damit leben?«
»Es geht nicht darum, ob ich damit leben kann. Es geht um Michel. Michel muss damit leben können.«
»Und kann er das?«
»Serge, tu doch bitte nicht so, als würdest du mich nicht verstehen. Du fasst einen Entschluss. Mit diesem Entschluss entscheidest du auch über die
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