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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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–«
    »Den normalen«, unterbrach Claire ihn. »Den durchsichtigen.«
    Der Maître d’hôtel machte eine fürs bloße Auge kaum wahrnehmbare Verbeugung. »Einen jungen Grappa für die Dame«, sagte er. »Und was darf es für den Herrn sein?«
    »Für mich bitte dasselbe«, sagte ich.
    »Und die Rechnung«, sagte Serge nochmals.
    Nachdem der Maître d’hôtel abgezogen war, wandte sich Babette mir zu – sie versuchte ein Lächeln. »Und du, Paul? Wir haben deine Meinung noch gar nicht gehört. Was meinst du?«
    »Ich finde es seltsam, dass sich Serge unsere Kneipe ausgesucht hat«, sagte ich.
    Das Lächeln, zumindest der Ansatz dazu, verschwand von Babettes Gesicht.
    »Paul, bitte«, sagte Serge. Er sah Claire an.
    »Ja, ich finde das seltsam«, sagte ich. »Wir haben euch dorthin mitgenommen. Das ist ein Ort, wo Claire und ich öfters mal das Tagesgericht essen. Man kann dort nicht einfach plötzlich so eine Pressekonferenz abhalten.«
    »Paul«, sagte Serge. »Ich weiß nicht, ob du eine Vorstellung davon hast, wie ernst –«
    »Lass ihn ausreden«, sagte Babette.
    »Eigentlich habe ich bereits alles gesagt«, antwortete ich. »Wer so etwas nicht versteht, dem kann ich es auch nicht erklären.«
    »Uns hat die Kneipe gefallen«, sagte Babette. »Wir haben ausschließlich angenehme Erinnerungen an diesen Abend.«
    »Spareribs!«, sagte Serge.
    Ich wartete einen Moment, ob noch etwas folgen würde, aber es blieb still. »Genau«, sagte ich. »Angenehme Erinnerungen. Welche Erinnerungen sollen Claire und ich demnächst haben?«
    »Paul, jetzt sei doch bitte einmal normal«, sagte Serge. »Wir reden hier von der Zukunft unserer Kinder. Meine Zukunft möchte ich nicht noch einmal thematisieren.«
    »Aber er hat doch recht«, sagte Claire.
    »O nein, bitte«, sagte Serge.
    »Nein, kein Bitte«, sagte Claire. »Es geht einfach um die Leichtigkeit, mit der du dir alles von uns aneignest. Das meint Paul damit. Du sprichst von der Zukunft unserer Kinder. Aber das interessiert dich nicht wirklich, Serge. Du eignest dir diese Zukunft an. Genauso einfach, wie du dir die Kneipe aneignest als passendes Dekor für eine Pressekonferenz. Nur damit es authentischer rüberkommt. Du kommst noch nicht einmal auf die Idee, uns zu fragen, was wir davon halten könnten.«
    »Was redet ihr denn da!«, sagte Babette. »Ihr tut gerade so, als würde diese Pressekonferenz ganz selbstverständlich stattfinden. Ich hatte mir eigentlich erhofft, ihr könntet ihm den Blödsinn ausreden. Du könntest das tun, Claire. Denk doch mal darüber nach, was du im Garten gesagt hast.«
    »Geht es darum?«, sagte Serge. »Um eure Kneipe? Ich habe gar nicht gewusst, dass es eure Kneipe ist. Ich hatte angenommen, es würde sich um eine öffentliche, frei zugängliche Lokalität handeln. Verzeiht mir.«
    »Es ist unser Sohn«, sagte Claire. »Und ja, es ist auch unsere Kneipe. Wir können natürlich keine Rechte dafür geltend machen und dennoch empfinden wir das so. Aber Paul hat recht, wenn er sagt, man könne das nicht erklären. So etwas versteht man, oder man versteht es nicht.«
    Serge holte sein Handy aus der Tasche und sah aufs Display. »Verzeiht mir, aber den hier muss ich annehmen.« Er hielt sich das Handy ans Ohr, schob den Stuhl zurück und erhob sich halb. »Ja, hier Serge Lohman … Hallo.«
    »Verdammt!« Babette warf die Serviette auf den Tisch. »Verdammt«, sagte sie noch einmal.
    Serge hatte sich ein paar Schritte vom Tisch entfernt, er beugte sich weit vor und hielt sich mit zwei Fingern der freien Hand das andere Ohr zu. »Nein das ist es nicht«, konnte ich gerade noch hören. »Die Sache verhält sich etwas komplizierter.« Danach ging er zwischen den Tischen hindurch in Richtung Toiletten oder zum Ausgang.
    Claire holte ihr Handy aus der Tasche. »Ich ruf Michel mal kurz an«, sagte sie und sah mich dabei an. »Wie spät ist es? Ich will ihn nicht wecken.«
    Ich trage keine Uhr. Seit ich aus dem Berufsleben ausgeschieden bin, versuche ich mit dem Stand der Sonne zu leben, der Erddrehung, der Stärke des Lichts.
    Claire wusste, dass ich keine Uhr mehr trug.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich. Ich spürte etwas, ein Prickeln im Nacken, das lag an der Art, wie mich meine Frau dabei ansah – anstarrte, konnte man eigentlich besser sagen –, dadurch hatte ich das Gefühl, ich würde in etwas einbezogen, auch wenn ich in diesem Moment noch nicht ahnen konnte, was es war.
    Das war immerhin besser, als nicht einbezogen zu werden,

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