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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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bekannt geben werde«, sagte Serge. »Morgen Mittag um zwölf Uhr. Es wird live übertragen. Die Nachrichten um zwölf werden damit beginnen.« Er sah auf die Uhr. »Oh, ist es schon so spät?«, sagte er, es schien, als würde es ihn keinerlei Mühe kosten, diese Feststellung natürlich klingen zu lassen. »Ich muss … ich habe noch einen Termin«, sagte er. »Gleich. In einer halben Stunde.«
    »Einen Termin?«, fragte Claire. »Aber wir müssen – mit wem?«
    »Der Regisseur möchte noch kurz eine Raumbegehung für die Pressekonferenz morgen mit mir machen und noch ein paar Sachen mit mir besprechen. Mir kam es unpassend vor, eine derartige Pressekonferenz in Den Haag abzuhalten. Das hat doch nie wirklich zu mir gepasst. Deswegen habe ich an einen etwas weniger formellen Ort gedacht …«
    »Wo?«, fragte Claire. »Doch hoffentlich nicht hier?«
    »Nein. Du kennst doch die Kneipe hier gegenüber, in die ihr uns vor ein paar Monaten mitgenommen habt? Wir haben dort auch gegessen. Das –«, er tat so, als würde er nach dem Namen suchen, und nannte ihn dann. »Als ich über einen geeigneten Ort nachdachte, fiel mir diese Location plötzlich wieder ein. Eine normale Kneipe. Normale Leute. Dort bin ich eher ich selbst als in so einem unbehaglichen Pressekonferenzraum. Ich hatte Paul noch vorgeschlagen, vor dem Essen dort noch ein Bier zu trinken, aber das wollte er nicht.«

[Menü]
    39
    »Wünschen die Herrschaften vielleicht noch einen Kaffee?«
    Der Maître d’hôtel war aus dem Nichts neben unserem Tisch aufgetaucht, die Hände hatte er hinter dem Rücken verschränkt und er beugte sich gleichzeitig leicht mit dem Oberkörper vor; sein Blick streifte kurz Serges zusammengesackte Dame blanche, danach sah er uns einzeln fragend an.
    Vielleicht irrte ich mich ja auch, aber seine Motorik und seine Mimik verrieten eine gewisse Hast. Das erlebte man in solchen Restaurants öfter: Hatte man gegessen, sank die Chance, dass noch eine weitere Flasche Wein bestellt würde; man konnte also eigentlich auch gehen. Egal ob man in sieben Monaten der neue Ministerpräsident war oder nicht, überlegte ich. Es gab eine Zeit des Kommens und eine Zeit des Abschiednehmens.
    Erneut sah Serge auf die Uhr.
    »Also, ich glaube …« Erst sah er zu Babette und dann zu Claire. »Ich würde vorschlagen, wir trinken den Kaffee in der Kneipe«, sagte er.
    Ex, korrigierte ich mich selbst. Ex-Premier. Oder nein … wie nannte man jemanden, der noch nie Premier gewesen war, aber dennoch darauf verzichtete? Ex-Kandidat?
    Wie dem auch sei, das Präfix Ex klang jedenfalls nicht gut. Ex-Fußballer und Ex-Rennradfahrer konnten ein Lied davon singen. Ich hatte da so meine Zweifel, ob mein Bruder morgennach der Pressekonferenz in diesem Restaurant noch immer einen Tisch reservieren könnte. Für denselben Tag. Es schien wahrscheinlicher zu sein, dass ein Ex-Kandidat auf die Warteliste für frühestens in drei Monaten platziert würde.
    »Also bringen Sie uns bitte die Rechnung«, sagte Serge. Vielleicht war mir da etwas entgangen, aber ich glaube nicht, dass er erst abgewartet hat, ob Babette und Claire seinen Vorschlag ebenfalls gut fanden und in die Kneipe umziehen wollten.
    »Ich hätte gerne noch einen Kaffee«, sagte ich. »Einen Espresso«, fügte ich hinzu. »Und bitte noch etwas dazu.« Ich überlegte kurz, was ich noch haben wollte. Den ganzen Abend über hatte ich mich zurückgehalten, aber mir fiel trotzdem nicht gleich ein, worauf ich jetzt Lust hatte.
    »Ich nehme auch einen Espresso«, sagte Claire. »Und noch einen Grappa.«
    Meine Frau. Ich spürte eine Wärme, ich wünschte, ich würde nun neben ihr sitzen und könnte sie berühren. »Für mich bitte auch einen Grappa«, sagte ich.
    »Und für Sie?« Der Maître d’hôtel schien anfangs etwas in Verwirrung geraten zu sein und sah nun zu meinem Bruder. Doch Serge schüttelte den Kopf. »Nur die Rechnung«, sagte er. »Meine Frau und ich … wir müssen …« Er schaute zu seiner Frau – ein panischer Blick, das erkannte ich sogar von der Seite. Es hätte mich nicht weiter verwundert, wenn nun auch Babette ihrerseits einen Espresso bestellen würde.
    Doch Babette hatte aufgehört zu weinen, sie rieb sich mit der Serviettenspitze über die Nase. »Für mich nichts, danke«, sagte sie, ohne den Maître d’hôtel anzuschauen.
    »Also zwei Espresso und zwei Grappa«, sagte er. »Welchen Grappa hätten Sie denn gerne? Wir haben sieben Sorten, von alten, in Holz gereiften, bis zu jungen

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