Angerichtet
Zukunft deines Sohnes. Dessen musst du dir bewusst sein. Obwohl ich mich wirklich frage, ob du dir eigentlich darüber im Klaren bist, was du da anrichtest. Aber mit deinem Entschluss zerstörst du auch die Zukunft meines Sohnes.«
Mein Sohn. Claire hatte mein Sohn gesagt, sie könnte jetzt noch schnell zu mir hinschauen, zur Bekräftigung oder auch nur mit einem Zustimmung heischenden Blick, um sich dann zu korrigieren und unser Sohn zu sagen – aber sie tat es nicht, sie schaute noch nicht einmal in meine Richtung, sondern hielt den Blick starr auf Serge gerichtet.
»Ach hör doch auf, Claire«, winkte mein Bruder ab. »Die Zukunft ist doch bereits zerstört. Egal was passiert. Es passiert vollkommen unabhängig davon, was ich nun entscheide oder auch nicht.«
»Nein, Serge. Die Zukunft wird nur dann zerstört, wenn du unbedingt den edlen Politiker raushängen lassen musst. Weil du mit irgendetwas nicht leben kannst, gehst du der Einfachheit halber davon aus, dass das auch für meinen Sohn gilt. Mag sein, dass du mit Rick so ins Reine kommst, und ich hoffe für dich, dass du deinem Sohn erklären kannst, was du mit seinem Leben machen wirst, aber lass Michel da bitte raus.«
»Wie kann ich Michel da rauslassen, Claire? Wie soll das gehen? Kannst du mir das bitte einmal erklären? Ich meine, sie waren doch beide gemeinsam dort, oder nicht. Oder willst du das etwa auch abstreiten?« Er wartete einen Moment, als sei er selbst erschrocken über seinen nicht vollendeten Gedanken. »Wolltest du das?«, fragte er.
»Serge, jetzt bleib bitte einmal bei den Tatsachen. Es ist überhaupt nichts. Es wurde niemand verhaftet. Es wurde noch nicht einmal ein Verdacht ausgesprochen. Nur wir wissen, was passiert ist. Das ist einfach zu wenig, um dafür die Zukunft von zwei Fünfzehnjährigen zu opfern. Ich spreche jetzt einmal nicht von deiner Zukunft. Du musst das tun, was du für richtig hältst. Aber du darfst da niemanden mit hineinziehen. Und erst recht nicht dein eigenes Kind. Und auch nicht meins. Du verkaufst es als hehre Tat der Selbstaufopferung: Serge Lohman, der engagierte Politiker, unser neuer Premier, gibt seine politische Laufbahn auf, weil er nicht mit einem solchen Geheimnis leben kann. Eigentlich meint er nicht ein Geheimnis, sondern einen Skandal. Das scheint alles sehr edel zu sein, doch eigentlich ist es reiner Egozentrismus.«
»Claire«, sagte Babette.
»Warte bitte, warte«, sagte Serge und gab seiner Frau mit einer Geste zu verstehen, dass sie schweigen sollte. »Lass mich noch, ich bin noch nicht fertig.« Er wandte sich wieder Claire zu. »Ist es egozentrisch, wenn man seinem Sohn eine ehrliche Chance geben will? Ist es egozentrisch von einem Vater, wenn er seine eigene Zukunft aufgibt für die seines Sohnes? Du solltest mir doch wenigstens einmal erklären, was daran egozentrisch sein soll.«
»Und welchen Inhalt hat diese Zukunft? Was soll er mit einer Zukunft, in der sein Vater ihn auf die Anklagebank verbannt? Wie soll sein Vater ihm später erklären, dass er durch das Zutun desselben Vaters im Gefängnis gelandet ist?«
»Aber das sind vielleicht nur ein paar Jahre. Mehr gibt es indiesem Land nicht für Totschlag. Ich will keineswegs abstreiten, dass es eingreifend sein wird, doch nach den paar Jahren haben sie ihre Strafe abgesessen und sie können vorsichtig versuchen, ins Leben zurückzufinden. Ich meine, was willst du denn tun, Claire?«
»Nichts.«
»Nichts.« Serge wiederholte das Wort wie eine neutrale Feststellung, ohne Fragezeichen.
»So was geht vorüber. Die Leute zerreißen sich darüber das Maul. Aber das Leben muss weitergehen. In zwei, drei Monaten spricht kein Mensch mehr davon.«
»Ich spreche von etwas anderem, Claire. Ich … wir merken bei Rick, dass er allmählich daran zugrunde geht. Mag sein, dass die Menschen es vergessen, er aber nicht.«
»Aber wir können ihnen dabei behilflich sein, Serge. Bei dem Vergessen. Ich sage nur, dass man solche Entscheidungen nicht überstürzt treffen sollte. In ein paar Monaten, in ein paar Wochen sieht alles vielleicht schon wieder ganz anders aus. Wir können uns dann gelassener darüber unterhalten. Wir. Zu viert. Mit Rick. Mit Michel.«
Mit Beau, wollte ich eigentlich hinzufügen, doch ich hielt mich zurück.
»Das wird leider nicht möglich sein«, sagte Serge.
Während der nun eintretenden Stille war nur Babettes leises Schluchzen zu hören. »Morgen findet eine Pressekonferenz statt, auf der ich meinen Rücktritt
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