Angor - Schatten der Vergangenheit (Kriminalroman)
schon seit vielen Jahren zugehörig. Er stand im Schutz der Nacht hinter einer Reihe von Mülltonnen in einer Hofeinfahrt, die zu einem Hotel in Cannes gehörte.
Dass es nach Lebensmittelresten stank und kleine Fliegen ihn umflogen, störte ihn nicht im Geringsten. In dieser Mittelklasseherberge hatte sich Walther Dicks einquartiert.
Jules konnte von seiner Position aus, die Fensterfront des Zimmers 105 beobachten. Die dichten Vorhänge waren nicht zugezogen. Dennoch war nur die breite Silhouette von Walther eindeutig zuzuordnen, die der zwei anderen Personen nicht. Jules wartete geduldig auf ein bekanntes Zeichen.
Sein ganzes Wirken beim britischen Auslandsgeheimdienst basierte meist auf geduldigem Taktieren, Täuschung sowie in den letzten Jahren seines Tuns auf infernalischer Gewalt. Seine militärische Laufbahn und die beim SIS waren nicht vergleichbar. Bei der Royal Navy gab es unumstößliche Regeln, logische Strukturen und somit geordnete Verhältnisse. Es kam für ihn besser …
Beim MI6 traf er auf das menschliche Chaos mit all seinen Facetten. Sie hatten aus ihm einen improvisierenden Roboter ohne Reue für irgendetwas gemacht. Natürlich früh seine elitäre narzisstische Neigung erkannt und gnadenlos ausgenutzt.
Das war kein schleichender Prozess, der an ihm nagte. Er nahm es als seine Berufung hin und führte seine Aufträge mit großer Leidenschaft aus. Jules Winthorp wurde zu einer willigen und perfekt gedrillten Tötungs- und Foltermaschine ohne jeden Skrupel. Nie zog er Befehle in Zweifel. Im Gegenzug erhielt er grenzenlose Unterstützung und Mittel in jeder Form. Im Grunde erhielt er aber nur die für ihn wichtige Anerkennung und Bestätigung, solange er seine Position innehatte und perfekt funktionierte.
Viele unrühmliche Aktionen seiner damaligen Tätigkeit im Verborgenen liebte er über alle Maßen, sie füllten ihn geradezu aus.
Jules konnte seine düsteren, sadistischen Neigungen ausleben, das war auch so gewollt. Er erlag nur dem Trugschluss, ein enorm wichtiger Baustein seines Landes zu sein. Ein besessener Geheimnisträger - unverzichtbar, auf immer und ewig mit einer unsichtbaren Schutzhülle umwoben. Ein Trugschluss, er war halt nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe aller siebzehn militärischen Nachrichtendienste seines Landes. Das setzte große Zweifel frei, immerwährende Loyalität gab es in diesem Verbund scheinbar doch nicht. Er wollte es nicht hinnehmen, es war für Jules Winthorp einfach nicht akzeptabel. Die letzten Tage hinterließen kleine seelische Narben. Solche negativen Einflüsse auf sein Befinden musste er noch nie durchleben.
In den nächsten Wochen standen wieder neue an, das fühlte er mit allen Fasern seines Daseins. Der Geruch von Verrat setzte sich in Jules Nase fest. Er konnte es nicht greifen, seine Gedanken liefen immer ins Leere. Verraten von seinem Land, von alten Bekannten einfach so fallengelassen? Warum hatten sie mit ihm gebrochen? Schließlich stand er endlich mal für eine wirklich gute Sache ein.
Warum bekam er keine Möglichkeit sich zu erklären?
Jules schwächte sich selbst, ohne es selbst zu erkennen. Sein fokussiert - konzentriertes Vorgehen, sein gutgeschultes Urteilsvermögen war getrübt, und das sollte sich rächen …
Endlich sah Jules das vereinbarte Zeichen, Walther zog die Gardine zweimal auf und zu.
Jules verließ seine Position und machte sich gemächlich auf, zum eigentlichen Treffpunkt zu gehen.
Ein letzter Vertrauter, Waffengefährte und Freund war ihm geblieben. Das stimmte ihn wieder ein wenig milder. Walthers Zeichen war eindeutig, es war alles in bester Ordnung. Sie verstanden sich schon immer blind, alte Geheimdienstriten hatten einen höheren Stellenwert als neue Technik.
Nach ihrem letzten Telefonat nutzten sie eine unverfängliche Nachrichtenquelle.
Ein Inserat in der örtlichen Zeitung.
Sie wählten für ihr Treffen eine besondere Sehenswürdigkeit von Cannes, den größten innerstädtischen Park und Friedhof im Herzen der Stadt, den „Cimetière du Grand Jas“.
Etwa zehn Minuten später erreichte Jules die pompöse, aus Sandstein und Marmor gefertigte Familiengruft einer alten Adelsfamilie. Hier hatten sie sich schon einmal vor Jahren get roffen. Es war für beide ein wichtiger Ort von großer Bedeutung. Natürlich spähte Jules seine Umgebung aus. Er war sich aber absolut sicher, dass ihn niemand verfolgte oder hier schon auf ihn lauerte. Eine entfernte Straßenlaterne spendete
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