Angriff auf die Freiheit
Abgrund zu. Bald wird es zu spät sein.
Der täglich beschworene Schrecken verhindert eine ruhige und sachliche Auseinandersetzung mit dem Sinn oder Unsinn der vorgeschlagenen Gegenmittel. Wenn Sicherheitspolitiker erklären, daß Rasterfahndungen zur Enttarnung von »Schläfern« und damit zur Verhinderung eines zweiten »9/11« notwendig seien, stellt niemand kleinliche Gegenfragen. In Krisenzeiten gelten Skeptiker als naiv oder verblendet. Oder als schlecht informiert. Immerhin ist die Lage so ernst, daß das wahre Ausmaß der Gefährdung nur den Geheimdiensten bekannt ist. Aus Gründen der staatlichen Sicherheit müssen nähere Informationen geheim bleiben. Deshalb weiß der Bürger nur, daß er bedroht wird, nicht aber, worin die Bedrohung besteht. Oder könnten Sie erklären, auf welche Weise der Terror sich bei uns niederschlägt? Konkret befragt, wüßte jeder von uns nur Vermutungen über »Netzwerke« und »al-Qaida« zu murmeln. Im Großen und Ganzen wissen wir hingegen Bescheid: Unsere Zivilisation steht auf dem Spiel. Über Einzelheiten sollen wir uns nicht die Köpfe zerbrechen, sondern dankbar sein, daß der Staat uns beschützt.
Kein anderer hat die drohende Apokalypse so schön in Worte gefaßt wie Innenminister Wolfgang Schäuble:
»Viele Fachleute sind inzwischen überzeugt, daß es nur noch darum geht, wann ein [atomarer] Anschlag kommt, nicht mehr, ob. […] Aber ich rufe dennoch zur Gelassenheit auf. Es hat keinen Zweck, daß wir uns die verbleibende Zeit auch noch verderben, weil wir uns vorher schon in eine Weltuntergangsstimmung versetzen.«
Viele Fachleute wissen also von einer bevorstehenden nuklearen Katastrophe. Wer sind diese Fachleute? Wieso werden sie nicht in der tagesschau interviewt? Wieso treten sie nicht in Talkshows auf? Wollen sie uns verschonen vor der brutalen Ausweglosigkeit, die sich ihnen und ihnen allein offenbart? Und rät der eifrig warnende Innenminister wirklich zu »Gelassenheit« oder eher zu Gehorsam, mit dem wir die immer umfassenderen staatlichen Eingriffsbefugnisse hinnehmen sollen?
Paradoxerweise können diese Befugnisse den atomaren Terroranschlag sowieso nicht verhindern, wenn Minister Schäuble und seine Fachleute doch überzeugt sind, daß es auf jeden Fall dazu kommen wird. Womit wir bei der zentralen Frage wären: Was taugen eigentlich die Instrumente der Terrorismusbekämpfung? Sind sie überhaupt geeignet, die Wahrscheinlichkeit eines Anschlags zu verringern?
Nicht nur der gesunde Menschenverstand verlangt nach dieser Frage, sondern auch das Grundgesetz. Staatliche Befugnisse, die in die Grundrechte eingreifen, sind nur verfassungskonform, wenn sie die sogenannte Verhältnismäßigkeit wahren. Dazu gehört, daß die Maßnahme geeignet sein muß, das angestrebte Ziel zu erreichen. Weiterhin darf kein anderes, milderes Mittel zum Erreichen des Ziels zur Verfügung stehen. Trotz dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben wird auf eine Abwägung von Sinn und Zweck der Anti-Terror-Instrumente oft verzichtet. Schon bei Verabschiedung des ersten »Terrorismusbekämpfungsgesetzes« im Dezember 2001 hatten die Abgeordneten über einen Entwurf zu entscheiden, der ihnen gar nicht bekannt war, da ihnen der Wortlaut des Gesetzes erst kurz vor der Abstimmung zur Verfügung gestellt wurde. Bei einem solchen Vorgehen nimmt es nicht wunder, wenn sich die meisten Maßnahmen des »Anti-Terror-Kampfes« bei näherer Betrachtung als wirkungslos erweisen.
Ein prägnantes Beispiel bietet die Rasterfahndung . Sie wurde in den siebziger Jahren zur Bekämpfung der Rote-Armee-Fraktion (RAF) entwickelt und nach dem 11. September zum Aufspüren von »Schläfern« eingesetzt. Das Verfahren richtet sich gegen unverdächtige Personen einer zuvor definierten Merkmalgruppe. Wäre zum Beispiel der Besitz eines Lamborghini strafbar, könnte die Rasterfahndung potentielle Verdächtige unter den Kriterien »männlich, weiß, katholisch, Alter zwischen 45 und 55, höchste Steuerklasse, geschieden« in sämtlichen verfügbaren, öffentlichen und privaten Datensammlungen ermitteln.
Sie vermuten, durch so ein vages Umkreisen würde ein riesiger Personenkreis verdächtig? Genau, und dieser wird dann näher überprüft. Sie meinen, am Ende bleibt bestenfalls ein Verdächtiger übrig – und der fährt Ferrari? Eben. Beim Einsatz der Rasterfahndung im Jahr 2004 wurde nach der Auswertung von 8,3 Millionen Datensätzen (ein Zehntel der gesamten deutschen Bevölkerung!) ein einziges
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