Angriff auf die Freiheit
Ermittlungsverfahren eingeleitet und bald darauf wieder eingestellt. Das hat sich gelohnt! Null Treffer bei 8,3 Millionen Überprüfungen – so viel Ineffizienz dürfte kaum zu überbieten sein. Wenn Politiker dennoch den Sinn der ganzen Aktion preisen, klingt das (im Fall des hessischen Innenministers) recht phantasievoll:
»Von der Rasterfahndung ging eine präventive Wirkung aus. Aufgrund der Medienberichterstattung wurde sie vom islamistischen Potential als Fahndungs- bzw. Verfolgungsdruck empfunden.«
Man kann sich lebhaft vorstellen, wie eine islamistische Zelle namens »Hessischer Dschihad« bibbernd in einem Kellerraum in Gießen hockt und sich vor der Rasterfahndung versteckt – erstaunlich zart besaitet, die potentiellen hessischen Selbstmordattentäter. Ebenso erstaunlich, wie gut vertraut der Innenminister mit dem »islamistischen Potenzial« und dessen intimen Sorgen ist.
Aber mit dem wahllosen Rasterfahnden ist ohnehin erst einmal Schluß. Am 4. April 2006 hat das Bundesverfassungsgericht nach Beschwerde eines marokkanischen Studenten geurteilt, daß das Scannen der Bundesbevölkerung ohne konkreten Anlaß gegen das Grundgesetz verstößt.
Ein weiteres Lieblingsinstrument der Terroristenjäger ist der ePaß. In den neuen biometrischen Reisepässen werden neben digitalisierten Photos auch die Fingerabdrücke der Paßinhaber gespeichert. Das Verfahren soll Terroristen die Verwendung von gefälschten Pässen erschweren. Diese auf den ersten Blick plausible Begründung erweist sich als abwegig, wenn man bedenkt, daß in einem Zeitraum von fünf Jahren (2001 bis 2006) nicht mehr als sechs gefälschte Pässe des alten Modells in Umlauf kamen. Darüber hinaus ist kein einziger Fall bekannt, in dem Terroristen gefälschte Pässe bei sich trugen.
Die Beteuerung offizieller Stellen, es gehe keineswegs darum, alle Bundesbürger eines Tages in einer flächendeckenden Verbrecherkartei zu erfassen, kann angesichts der Tatsachen nur als platte Lüge gelten. Denn die Europäische Union (die auch den ePaß beschlossen hat) arbeitet längst an diesem Projekt. In einer zentralen Datenbank in Brüssel sollen die Fingerabdrücke sämtlicher EU-Bürger gespeichert werden. Es dürfen Wetten eingereicht werden, wie lange es dauert, bis die EU in bewährter Unauffälligkeit ihr Vorhaben umgesetzt hat und die deutsche Regierung wieder einmal scheinheilig die Achseln zuckt: »Wir müssen leider die Vorgaben aus Brüssel umsetzen!«
Eine der einschneidendsten Maßnahmen für den Bürger ist die Telephonüberwachung . Im Jahr 2007 wurden im Bereich der Strafverfolgung Überwachungsanordnungen für rund 44.000 Telephonnummern (ca. 39.000 mobil, ca. 5000 Festnetz) umgesetzt. Je nach Schätzung waren von diesen Maßnahmen zwischen zwei und vier Millionen Bundesbürger betroffen. Derartige Tendenzen veranlaßten den früheren Verfassungsrichter Jürgen Kühling schon im Grundrechte-Report 2003 zu der Aussage, das Fernmeldegeheimnis dürfe man »getrost als Totalverlust abschreiben, nachdem inzwischen buchstäblich jedes Telephonat abgehört wird, sei es – in geringerem Maße – durch legale Maßnahmen staatlicher Behörden, sei es – umfassend – durch fremde Geheimdienste.« Die Entwicklung der letzten Jahre hat die Einschätzung des einstigen Verfassungsrichters bestätigt.
Welcher Kriminelle aber, geschweige denn Terrorist, wäre heutzutage noch so dumm, ein begangenes oder geplantes Delikt am Telephon zu besprechen? Schließlich ist das »islamistische Potenzial« aufgrund der Medienberichterstattung bereits vorgewarnt. Auf eine offizielle Anfrage von zwei Abgeordneten der Grünen, inwieweit »die höhere Zahl an Telephonüberwachungsmaßnahmen auch zu einer höheren Erfolgsquote auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung« führe, antwortete das baden-württembergische Justizministerium unnachahmlich spekulativ:
»Belastbare statistische Daten, aufgrund derer sich die Frage der Kausalität zuverlässig beantworten ließe, liegen nicht vor. Die Landesregierung ist auch der Ansicht, daß sich solche nicht sinnvoll erheben ließen.«
Na ja: Eine Studie des Max-Planck-Instituts aus dem Jahr 2003 hat ergeben, daß die Telephonüberwachung in 17 Prozent der Fälle Erfolge erzielt. Immerhin im Vergleich zur Rasterfahndung eine geradezu vorbildliche Bilanz. Allerdings läßt auch diese Studie im unklaren, inwieweit es bei den untersuchten Verfahren überhaupt um Terrorismusbekämpfung ging. Ob weitere Ausdehnungen der
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