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Angriff auf die Freiheit

Angriff auf die Freiheit

Titel: Angriff auf die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Ilija;Zeh Trojanow
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CCTV-Kameras montiert. Sie halten fest, wer vorbeigeht, wer stehenbleibt, wer George Orwells Räumen einen Besuch abstattet. Orwells geliebte Aussicht auf die baumbestandenen Gärten wird von zwei Aufnahmegeräten Tag und Nacht eingefangen. Die Rückseite des Hauses wird von zwei weiteren Kameras, die vor einem Konferenzzentrum postiert sind, erfaßt. Und neben Orwells Stammkneipe (The Compton Arms) sorgt die Kamera einer Autovertretung dafür, daß gegebenenfalls nachgeprüft werden kann, wer den Pub wann betritt und wann verläßt (in manchen Teilen Londons verlangt die Polizei die Installierung von CCTV, bevor sie der Lizenz für eine neue Kneipe zustimmt). Big Brother is Watching You – einst als Slogan erdacht, um das neu erschienene »1984« zu bewerben, ist in George Orwells Heimatland mittlerweile Realität geworden.

    Als die britische Regierung im Herbst 2008 eine umfassende Überwachung der gesamten Kommunikation ihrer Bürger beschloß, regte sich Widerstand von hoher und unerwarteter Seite. Das Oberhaus des Parlaments äußerte eine ungewohnt strenge Warnung: Großbritannien sei eine Überwachungsgesellschaft geworden, und dies müsse sich ändern.
    Das House of Lords, für gewöhnlich als aristokratischer Blinddarm belächelt, hatte sich bis dahin nicht gerade mit staatskritischen Verlautbarungen hervorgetan. Um so beachtlicher war diese Intervention. Pointiert bemerkte ein Blogger:
    »You know your democracy might be in trouble when the Aristocracy is making good sense.« (Wenn die Aristokratie etwas Sinnvolles äußert, weißt du, daß deine Demokratie in Schwierigkeiten steckt).
    In ihrem weitreichenden Gutachten stellen die Lords jene wesentlichen Fragen, denen wir uns in diesem Buch gewidmet haben:
    Hat die Zunahme an Überwachung und Datenspeicherung das Verhältnis zwischen Staat und Bürger fundamental verändert?
    Wo befindet sich bei Überwachung und Datenspeicherung eine Grenze, die auf keinen Fall überschritten werden darf?
    Was für eine Wirkung haben Überwachung und Datenspeicherung auf die Freiheit und die Privatsphäre des Bürgers?
    Reichen die bestehenden Gesetze aus, den Bürger zu schützen, oder bräuchte es einen gezielten Grundrechtsschutz vor Überwachung und Datenspeicherung?
    Die Analyse gelangt zu einem verheerenden Fazit. Der Sicherheitswahn der letzten Jahre stelle die größte Gefahr für die britische Demokratie seit dem Zweiten Weltkrieg dar. Mehr als vier Millionen Kameras seien im Einsatz; sieben Prozent der Bevölkerung würden schon in der staatlichen DNA-Datenbank geführt. Lord Goodlad, der Vorsitzende des Verfassungskomitees des House of Lords, betonte, daß es keine Rechtfertigung für eine Kontrolle gebe, die dem Staat Detailkenntnis über jeden einzelnen Bürger verschaffen soll. Am Ende formuliert das Gutachten eine Quintessenz, die klarer nicht gefaßt werden könnte: »Privatsphäre ist eine grundsätzliche Voraussetzung für individuelle Freiheit.«
    Auf den ersten Blick ist es ermutigend, daß die Entwicklungen endlich einmal von einem anderen Staatsorgan als den Verfassungsgerichten kritisch beleuchtet werden. Bei näherer Betrachtung offenbart sich jedoch, daß auch das House of Lords nicht in der Lage ist, die politische Klasse zum Umdenken anzuregen. Das britische Innenministerium beeilte sich festzustellen, daß an den bestehenden Gesetzesvorhaben keinesfalls gerüttelt werde. Und die Pressesprecher der Sicherheitsfirmen ließen sogleich verlauten, ohne CCTV wären unsere Gesellschaften nicht mehr sicher.

    Von sich aus werden die Regierungen weder in Großbritannien noch bei uns ihre Stoßrichtung ändern. Denn was wir seit Jahren erleben, ist keine gezielte Bekämpfung eines vorübergehenden Problems (»Terrorismus«). Es handelt sich vielmehr, wie im vorherigen Kapitel beschrieben, um einen Paradigmenwechsel in existentiellen Fragen unseres Zusammenlebens. Notwendig wäre also eine Grundsatzdebatte darüber, wie sich angesichts veränderter technologischer, wirtschaftlicher und politischer Bedingungen das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit ins Gleichgewicht bringen läßt. Was wir nicht hinnehmen dürfen, ist eine Salami-Taktik, mit der diese Abwägung stetig und einseitig zugunsten eines Kontrollzuwachses des Staates entschieden wird. In den USA und in Großbritannien können wir heute schon beobachten, was uns auch hierzulande bald blühen wird, wenn wir die Entwicklungen weiterlaufen lassen. Es ist höchste Zeit, mit der irrwitzigen

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