Angriff Aus Dem Netz
Pool über eine Mauerlippe als kleiner Wasserfall in ein weiteres, tiefer gelegenes Becken ergießen konnte. Dahinter ging der Blick weiter über einen kleinen Weiher, hinter dem sich die Silhouette des Parkwalds erhob – und dahinter wiederum ragte die düster brütende Kulisse der zerstörten Stadt auf. Er versuchte sich vorzustellen, wie es früher gewesen sein mochte – mit gefülltem Pool, lachenden Menschen, Musik. Und über allem wurde der Nachthimmel von einer Glitzerwelt erhellt, von Sin City, dem Sündenpfuhl Las Vegas, der Stadt aller Laster dieser Erde.
»Ich habe heute Geburtstag«, sagte Sam schließlich. »Bin jetzt siebzehn.«
»Zählt nicht«, kommentierte sie trocken. Und fügte wie beiläufig hinzu: »Äh, ach so – gratuliere.«
»Warum zählt das nicht?«, wollte er wissen.
»Du sollst mir etwas erzählen, was ich noch nicht weiß oder nicht in weniger als fünf Sekunden aus deiner Personalakte fischen kann. Erzähl mir, wie es an deinem letzten Geburtstag war. Wenn man hier sechzehn wird, ist das doch eine ziemlich große Sache, oder nicht? Sweet Six teen. Was hast du gemacht? Hast du eine Party geschmissen? Deine Flamme ganz groß zum Essen ausgeführt? Also – was?«
»Nichts von allem«, sagte Sam mit verlegenem Grinsen. »Ich hab mir eine Tracht Prügel geholt.«
Vienna hob fragend eine Augenbraue.
»Na ja, da waren diese Typen aus der Parallelklasse – ein übler Schlägertyp namens Ray Mordon und seine Wichserkumpel.«
»Warum?«
»Wussten sie wahrscheinlich selber nicht. Vielleicht weil ich smarter war als sie? Oder weil sie herausgefunden hatten, dass es mein Geburtstag war? Oder einfach nur, weil sie es mir mal richtig zeigen wollten.« Er grinste flüchtig. »Aber ich hab es Ray gründlich heimgezahlt.«
»Mit dem Baseball-Schläger in einer dunklen Nebengasse?«, fragte Vienna. Jetzt zogen sich ihre Augenbrauen zu einem finster drohenden Blick zusammen.
Sam schüttelte den Kopf. »Nein. Ich hackte in den Schulcomputer und änderte seine Noten. Gab ihm in allen Fächern nur die allerbesten Noten.«
Jetzt verschwanden ihre ausdrucksvollen Augenbrauen fast unter dem Haaransatz. »Und das ist also, was sich unser Sam Wilson unter Rache vorstellt?«
»Na ja, eine Zeit lang war ich sogar überzeugt, dass ich ihn viel zu hart bestraft hatte. Als Erstes wollten seine Kumpel nichts mehr mit so einem Klugscheißer zu tun haben. Sie dachten, er hätte ihnen die ganze Zeit nur was vorgemacht. Dann versetzte ihn die Schule in die GATE-Klasse – das ist das Spezialprogramm unserer Schule für besonders begabte Kids. Jetzt saß er also ständig in derselben Klasse wie all die cleveren Typen, die er doch immer verachtet hatte. Aber natürlich fand die Schulleitung schon bald heraus, dass da was nicht stimmte und dass seine Daten geändert worden waren – und warf ihn von der
Schule.«
Vienna lachte. »Aber das hatte er verdient.«
Sam zuckte die Schultern. »Vermutlich ja.« Ein kurzes Schweigen trat ein, dann sagte er: »Du bist dran.«
Sie starrte schweigend durch das Fenster.
»Ist schon okay«, sagte Sam. »Du musst nicht, wenn du nicht ...«
»Ich habe eine kleine Schwester«, sagte sie plötzlich, und Sam glaubte, dass er eine winzige Träne in ihrem Augenwinkel sehen konnte.
»Du musst nicht . . .«, begann er noch einmal.
»Du wolltest doch etwas über mich wissen? Das war’s. Ich habe eine kleine Schwester. Rebecca.«
Sam schaute sie an, unsicher, ob er dazu etwas sagen sollte oder etwas tun sollte. Unsicher, was die Beinahe-Träne zu bedeuten hatte.
Vienna warf ihm einen schnellen Seitenblick zu, dann fuhr sie fort: »Sie ist viel jünger als ich, und unsere Mutter hat sich nicht viel um uns gekümmert, deshalb hab ich sie praktisch allein großgezogen. Windeln. Fläschchen. Alles.«
»Und wo ist sie jetzt?«, fragte Sam vorsichtig.
»Sie wohnt noch immer bei unserem Vater in Chicago. Vor ein paar Monaten kam sie in die Schule. Ich wäre gern dabei gewesen, aber wir hatten ja gerade Ausgehverbot.«
Sam berührte kurz ihren Arm. »Und sie fehlt dir sehr, stimmt’s?«
»Sie ist einer der Gründe, warum wir diese Sache hier gut zu Ende bringen müssen«, sagte Vienna, und ihr Mund war schmal und hart. »Könnte den Gedanken nicht ertragen, dass Rebeccas ganzes Denken und ihre Erinnerungen von Ursula einfach überschrieben würden. Dass sie zu einer Art Neuro-Sklavin dieses . . . Meta-Systems wird.«
»Das wird nicht passieren«, versuchte Sam sie zu beruhi
Weitere Kostenlose Bücher