Aber Sam war überzeugt, dass es einen unteren Grenzwert der Toleranz geben müsse, denn sonst würden selbst bei den allerkleinsten Problemen im Netz sämtliche Alarmsirenen losheulen.
Aber es heulten keine Alarmsirenen auf. Nirgendwo gingen die Suchscheinwerfer an. Der Verlust der wenigen winzigen Datenpakete war offenbar unterhalb der Toleranzgrenze geblieben, genau wie er es beabsichtigt hatte.
Er schickte eine sogenannte Probe los, ein wirklich cleveres kleines Ding, das beschädigte TCP-IP-Pakete nachahmte und einen Datenverlust simulierte; Therminator würde es ignorieren. Dann scannte er die Festplattenstruktur des großen Servers.
An dieser Maschine hingen über dreißig Festplattenlaufwerke. Er scrollte durch die Liste der Laufwerke und überlegte, mit welchem er anfangen sollte.
Plötzlich fiel ihm ein Laufwerk auf – ein kleines Laufwerk, gerade mal ein halbes Gigabyte Kapazität. Damit war es im Vergleich zu den anderen geradezu winzig klein, weshalb es ihm überhaupt erst aufgefallen war. Es trug die Bezeichnung »NHC«.
Es dauerte volle fünf Sekunden, bis bei Sam der Groschen fiel.
NHC!
[email protected]! Das musste es sein, dachte er, als er das Inhaltsverzeichnis des Laufwerks öffnete.
Die Hacker hatten auf einem der Laufwerke des zentralen Servers des Weißen Hauses eine eigene kleine Partition eingerichtet und benutzten sie für ihre Meetings. Sam fand nur eine einzige Datei. Eine EXE-Datei, also eine ausführbare Datei – ein Programm. Das war wohl die Software des Online-Forums, vermutete Sam.
Mit einem Blick auf die Uhr stellte er fest, dass es noch zu früh war – erst 20.15 Uhr. Normalerweise hätte er nichts dagegen gehabt, zu früh dran zu sein, aber hier war es doch vielleicht zu riskant, sich zu früh einzuloggen. Je länger er eingeloggt blieb, desto größer wurde das Risiko, dass er erwischt würde.
Wieder betätigte er Alt-Tab und holte die Neuro-Sensor-Software auf den Monitor zurück, aber noch während er damit beschäftigt war, fiel ihm plötzlich etwas sehr Seltsames auf. In den letzten zwanzig Minuten war er im Computernetzwerk des Weißen Hauses herumgekrochen. Hatte Programme aufgerufen, Datennetze gesponnen, sogar kurze Codes geschrieben und abgesetzt.
Und in all dieser Zeit hatte er weder die Maus noch die Tastatur auch nur ein einziges Mal berührt.
Ursula hatte ein ganzes Bündel von Übungen, mit denen sich die Geschicklichkeit trainieren ließ, aber Sam war ungeduldig und überging sie einfach, indem er gleich das nächste Modul lud.
»Neuro-Visualisierung«, erklärte ihm Ursula nachsichtig. »Die Neuro-Sensoren in deinem Headset sind gleichzeitig auch Sender. Sie können nicht nur Signale von deinem Gehirn empfangen, sondern auch Töne oder Bilder in dein Gehirn übertragen, indem sie Gehirnströme in deinen visuellen und akustischen Kortizes stimulieren.«
»Cool«, sagte Sam, während er nervös auf die Uhr schaute. 20.16 Uhr – gerade mal eine Minute war vergangen.
»Schließ die Augen«, sagte Ursula. »Ich werde dir jetzt ein Bild schicken. Nichts Kompliziertes, einfach nur ein rotes Dreieck. Entspanne dich. Lass es zu, dass dein Gehirn das Bild empfängt und interpretiert. Wenn du die Augen öffnest, wird die Übertragung automatisch abgeschaltet. Das ist ein Mechanismus, der sicherstellen soll, dass deine visuellen Rezeptoren im Gehirn nicht mit Informationen von zwei verschiedenen Quellen überladen werden.«
Sam schloss die Augen.
»Die visuelle Übertragung beginnt . . . jetzt«, sagte Ursula.
Ein verschwommener roter Punkt erschien hinter Sams Augenlidern.
»Hab eigentlich schon was Besseres erwartet«, murrte Sam.
»Du solltest jetzt eine verschwommene rote Figur sehen«, sagte Ursula. »Konzentriere dich darauf, versuche, sie zu dir zu ziehen.«
Sam konzentrierte sich, stellte sich vor, dass er schnell auf das rote Nichts zulief. Es wurde größer.
Ein paar Augenblicke später füllte es fast die Hälfte seines Sehfeldes, und obwohl es immer noch unscharf war, konnte er es doch deutlich als rotes Dreieck ausmachen.
»Konzentriere dich weiter auf das Dreieck, versuche es scharf zu bekommen. Während es sich verändert, solltest du die Plus-und die Minus-Tasten auf deiner Tastatur drücken. Wenn das Dreieck unschärfer wird, drückst du die Minus-Taste. Wenn es schärfer wird, die Plus-Taste. Wenn es vollkommen scharf ist, drückst du die Leertaste.«
Sam wartete, bis die Ränder des Dreiecks vollkommen scharf und klar waren, dann