Angst
weiteren Damen nicht vor Chappy befragen. Mein Schwiegervater würde wahrscheinlich in brüllendes Gelächter ausbrechen, behaupten, er habe immer gedacht, Twister sei impotent, und sich dann nicht mehr einkriegen. Wir können ihn hier nicht wirklich verhören. Ich möchte über Erin und Helen erst dann mit ihm sprechen, wenn er sich nicht mehr in Gegenwart seines Bruders befindet.«
»Er ist Ihr Onkel, und es ist Ihre Ermittlung, Dix«, erwiderte Savich. »Also Ihre Entscheidung.«
Wie schon beim letzten Mal öffnete Chappy die Haustür. Er trug einen blassblauen Kaschmirpullover, schwarze Jogginghosen und Slipper.
»Ist Bertram immer noch krank?«, fragte ihn Dix.
»Ja, er hält sich schniefend im Haus seiner Schwester auf und klagt angeblich, dass es ihm überall wehtäte, wenn er das Bett verlässt. Bertram ist einfach kein guter Patient. Es ist aber höchste Zeit, dass du kommst, Dix. Ich weiß, dass Twister Helen umgebracht hat. Komm rein und führ diesen erbärmlichen Wicht in Handschellen ab. Er macht mich ganz krank. Wie ich sehe, läufst du immer noch mit diesen FBI-Leuten im Schlepptau herum.« Er trat einen Schritt zurück und winkte sie herein.
Gordon Holcombe stand am Kamin, eine Tasse Kaffee in den Händen. In seinem dunkelgrauen Anzug, dem weißen Hemd und seiner perfekt gebundenen, blassblauen Krawatte sah er wie ein italienischer Modegeck aus. Er wirkte bedrückt und gleichzeitig irgendwie gelassen, dachte Ruth, eine seltsame Mischung. War er wirklich traurig über Helens Tod? Oder erleichtert?
Gordon sagte kein Wort, als sie ins Wohnzimmer traten, sondern stand einfach nur da und beobachtete sie.
»Gordon, es tut mir sehr leid wegen Helen«, erklärte Dix.
»Warum sagst du ihm, es täte dir leid?«, brüllte Chappy und wedelte mit der Faust in Richtung seines Bruders. »Dieser wimmernde kleine Psychopath hat sie wahrscheinlich umgebracht. Das habe ich dir ja bereits gesagt. Nun mach schon. Frag ihn!«
»Haben Sie Helen Rafferty getötet, Dr. Holcombe?«, wollte Ruth wissen.
Gordon seufzte und stellte seine Kaffeetasse auf den Kaminsims. »Nein, Agentin Warnecki, das habe ich ganz gewiss nicht getan. Ich habe Helen sehr gern gehabt und kenne sie seit meinem ersten Tag in der Stanislaus. Sie war eine außergewöhnliche Frau. Ich weiß nicht, wer sie umgebracht hat.« Auf einmal wurde er gehässig. »Warum fragen Sie nicht Chappy, wenn Sie schon dabei sind? Er ist die tickende Zeitbombe hier in der Gegend! Wie glauben Sie denn, ist er so reich geworden? Er geht über Leichen. Fragen Sie ihn!«
»Ha! Das war schwach, Twister, wirklich schwach. Als würde ich deine ehemalige Geliebte umbringen. Gott allein weiß, dass du der Einzige mit einem Motiv bist, nicht ich. Äh, was war eigentlich dein Motiv?«
»Woher hast du eigentlich von ihrem Tod gewusst, Gordon?«, fragte Dix stattdessen.
»Ich habe Helen angerufen, weil ich ein paar Einzelheiten in Bezug auf Erin Bushnells Gedenkgottesdienst wissen wollte. Ich habe nur ihren Anrufbeantworter dranbekommen, was ich seltsam fand. Immerhin weiß jeder, dass Helen stets um halb acht an ihrem Schreibtisch sitzt, also habe ich den Empfang in Blankenship angerufen, um mich nach ihr zu erkundigen. Mary erklärte, sie habe sie noch nicht gesehen. Als ich nochmals bei Helen zu Hause anrief, ging ihr Bruder ans Telefon. Er weinte, der Arme. Dann erzählte er mir, dass sie tot ist, ermordet. Sagte, dass die Leute vom FBI gerade wieder fort wären.
Ich war bestürzt, wie vor den Kopf gestoßen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, deshalb kam ich hierher.« Er warf seinem Bruder einen boshaften Blick zu. »Selten blöde Idee, was? Natürlich gab es kein Mitleid von Charles Manson hier, diesem kaltherzigen, alten Blutsauger.«
In diesem Moment mischte sich Savich ein. »Wann haben Sie Helen zum letzten Mal gesehen, Dr. Holcombe?«
»Gestern Nachmittag, aber nur ganz kurz, als ich aus der Gainsborough Hall zurückkam. Ich war aufgebracht, weil sie Erin durch einen anderen Studenten ersetzen mussten, der ihr bei Weitem nicht das Wasser reicht. Normalerweise bleibt Helen so lange im Büro wie ich, doch gestern ist sie früher nach Hause gegangen und hat kaum ein Wort mit mir gewechselt. Selbstverständlich dachte ich, sie sei bekümmert wegen Erins Tod.
Ich erinnere mich noch, dass ich ihr nachgesehen habe, als sie zu ihrem geparkten Toyota lief, und dabei dachte, dass sie ein wenig zugenommen hat. Dann ist sie eingestiegen und weggefahren.« Er stockte.
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