Angst auf der Autobahn
noch mehr.“
„Und völlig ausgetrocknet.“
„Scherben und Blechdosen liegen
dort unten.“
„Ob da Ratten sind?“
Willert hob nur die Schultern
und rückte die Bretter wieder an ihren Platz.
Jörg hatte den Kopf in den
Nacken gelegt und sah hinauf in den blauen Abendhimmel.
Ein Hubschrauber schnatterte in
beträchtlicher Höhe.
„Das sind Bullen“, meinte
Willert. „Runter von der Lichtung!“
Sie hasteten unter die Bäume.
Vielleicht wird nach mir schon
gesucht, dachte Jörg, und der Gedanke machte ihn geradezu stolz.
„Ich glaube, dort geht’s zur
Autobahn“, vermutete der Junge. „Oder willst du jetzt woanders hin?“
„Erst zur Autobahn. Dann weiter
zur Stadt. Dann... Aber das sage ich dir, wenn es soweit ist. Deinetwegen mache
ich ja die vielen Umwege. Damit du nicht erwischt wirst, Otto. Klar? Also sei
dankbar und maule nicht! Sobald es dunkel wird, rasten wir.“
Wenig später erreichten sie die
Autobahn. Und zwar an einer Stelle, wo hinter einer Sichtblende aus dicht
belaubten Bäumen ein Rastplatz angelegt war. Der letzte vor der TKKG-Stadt.
Fünf Kilometer weiter vorn ist die Abfahrt über die Westtangente, die sich
wiederum in drei Zubringer, bzw. Auffahrten auffächert.
Hier jedenfalls war der
Rastplatz „Kloaner-Höhe“.
Willert und Jörg näherten sich
über einen Pfad, der durch über mannshohe Büsche führte, und achteten darauf,
wohin sie traten. Denn hier lagen viele frische und alte Papiertaschentücher
herum, ein- oder mehrmals benutzt — trotz des Hinweisschildes vorn an der
Fahrbahn, daß das nächste WC nur drei km entfernt im Rasthaus ,Geissen-Tal’
sei.
Musik ertönte. Ein Autoradio
lief. Offenbar waren die Türen des Wagens geöffnet, zumindest die Fenster.
Willert verharrte.
„Da ist wer auf dem Rastplatz.“
„Vielleicht geben sie uns was
zu essen, Hartmut. Mir ist schon ganz übel.“
„Pst!“
Der parkende Wagen war etwa
zehn Meter entfernt, aber nicht zu sehen durch die dschungeldichten Büsche.
Eine Männerstimme murmelte.
Eine Frau antwortete ebenso undeutlich. Eine andere Männerstimme mischte sich
ein. Dann endete im Radio die Popmusik. Statt dessen ertönte eine
Sprecherstimme.
„Und hier eine Mitteilung der
Polizei, liebe Hörer. Gesucht wird ein Junge, der seit frühem Nachmittag im
Gebiet Hängelwald verschwunden ist. Jörg Wichtigmann, der Sohn des 2.
Bürgermeisters der Landeshauptstadt, ist neun Jahre alt, hat blonde Locken,
blaue Augen und auffallend viele Sommersprossen. Möglicherweise wurde Jörg
entführt. Bei dem Täter handelt es sich mutmaßlich um Karsten Willert, einen
Schwerkriminellen, dem heute nacht die Flucht aus der Landesstrafanstalt
Sassvest gelang. Willert ist 38 Jahre alt, vermutlich bewaffnet und gilt als
gefährlich. Er...“
Mehr hörte Jörg nicht.
Er warf sich herum und wollte
fliehen, wurde aber zurückgerissen. Sein Schrei erstickte unter einem brutalen
Griff.
Der Junge strampelte und schlug
um sich. Aber Willert schüttelte ihn so heftig, daß Jörg das Bewußtsein verlor.
Er merkte nicht, wie ihn
Willert sich über die Schulter warf.
Zurück ging’s im Laufschritt.
Der Ausbrecher keuchte, aber
seine Stimmung hob sich.
Dieser Bengel! dachte er.
Veräppelt mich total. Und ich falle drauf rein. Aber jetzt nicht mehr. Er ist
es. Er heißt nicht Otto Kahlig, sondern Jörg Wichtigmann. Großartig! So ein
Faustpfand brauchte ich noch. Mit der Geisel kann ich Zoff machen. Der Bengel
ist meine eiserne Reserve. Wenn irgendwas schiefgeht, habe ich ihn als
Druckmittel.
Die Abenddämmerung begann, als
Willert den verlassenen Einöd-Hof erreichte.
Jörg war wieder zu sich
gekommen, aber anfangs benommen und schwach.
Dennoch mußte er laufen, wurde
an der Hand gepackt und mitgezerrt.
„Sie... sind dieser Willert.“
Er brachte es nicht mehr über
sich, den Mann zu duzen.
„Erraten.“
„Was... wollen Sie von mir? Ich
habe Ihnen doch nichts getan. Ich meine, ich verrate Sie nicht.“
„Du hast mich belogen, du
kleiner Schweinebraten.“
„Doch nur... weil ich... weil
ich immer lüge. Ist echt wahr! Ich lüge immer.“
„Also jetzt auch.“
Jörg stolperte über eine Wurzel
und wäre beinahe gestürzt.
Er wurde zu dem Brunnen
gezerrt.
„Was wollen Sie mit mir
machen?“
„Du kommst in den Brunnen. Das
ist dein Gefängnis. Dein Verlies. Bis ich dich raushole. Klar?“
„Neiiiiiiiiin!“ Jörg kreischte.
Er versuchte, sich loszureißen. „Nicht in den Brunnen. Dort komme ich um.
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